Ungefähr 150 Tage lang erhielt die Welt vom 20. April 2010 bis in den September hinein täglich mehrmals Wasserstandsmeldungen aus dem Golf von Mexiko. Damals war die Ölbohrplattform Deepwater Horizon, die in der Verantwortung des britischen Mineralölkonzerns BP betrieben wurde, in Brand geraten und löste damit eine der schwersten Umweltkatastrophen dieser Art aus. Über allen Medien erhielt die Öffentlichkeit damals permanent Zustandsberichte bezüglich Öl-Austrittsmengen, Ausdehnung von Ölteppichen, Anzahl verendeter Wasservögel, Zahlen arbeitsloser Fischer und dergleichen mehr. Eine vergleichbare Katastrophe, bei der ähnliche Ölmengen austraten, gab es dreißig Jahre zuvor: Blowout der Ixtoc I-Bohrung 1979/80. Die Medien konnten über ihre Berichterstattung und natürlich auch über die eindrucksvollen Film- und Bildbeiträge Druck erzeugen auf die Verantwortlichen der Katastrophe, die US-Regierung, aber auch auf die Öffentlichkeit. Dort wandelte sich der Druck sehr schnell in echte Sorge um die massiv geschädigte Umwelt.
Seit wenigen Tagen, genauer seit dem 25. März 2012, hat es die nordeuropäische Bevölkerung mit einer vergleichbaren Umweltkatastrophe zu tun. Aus dem Bohrloch der havarierten Bohrinsel Elgin, die von dem französischen Mineralölkonzern Total betrieben wird, strömt seit diesem Tag giftiges und explosives Gas aus. Schiffe und Flugzeuge dürfen sich der Bohrinsel seit diesem Tag nicht mehr nähern. Das Förderfeld, zu dem die Bohrinsel gehört, liegt in der Nordsee, ungefähr 250 Kilometer östlich der schottischen Küste. Wie und wann das Gasleck geschlossen werden kann, ist den Experten bislang noch unklar. Als ein wesentlicher Teilerfolg wurde schon das bloße Erlöschen der Gasfackel, die im Normalbetrieb überschüssiges Gas wirkungsvoll vernichten soll, gewertet.
Beim direkten Vergleich beider Havarien fallen die Unterschiede besonders auf. Deepwater Horizon zog das Medieninteresse auf sich, da hier aufgrund des austretenden Öls eindrucksvolle Bilder der Umweltverschmutzung aus verschiedensten Perspektiven gezeigt werden konnten. Das austretende Gas der Elgin hingegen ist praktisch unsichtbar. Die Medien können derzeit weder über verendete Fische oder Vögel, noch über sprudelnde Quellen gebundener Energie berichten. Die Total-Plattform ist in dieser Hinsicht medial nicht attraktiv.
Es gibt aber auch Gemeinsamkeiten beider Havarien. Die angewandte HP/HT-Technologie (high pressure/high temperature) stößt in Tiefen von mehr als 4 Kilometer vor und fördert den meist über 200 Grad Celsius heißen Energieträger an die Oberfläche. Auf einer nach oben offenen Risikoskala rangieren diese anspruchsvollen Bohrungen sicher nicht auf den unteren Rängen. Das damit verbundene Risiko ist gemeinhin bekannt. Es gibt aber noch eine weitere Gemeinsamkeit. In beiden Fällen gab es wenige Wochen vor der Katastrophe technische Störungen und Anomalien. Diese wurden zwar gemeldet, aber sie wurden von den Verantwortlichen der Betreibergesellschaften verharmlost und heruntergespielt. Beide Katastrophen hätten durch rechtzeitiges Handeln vielleicht vermieden werden können. Jedenfalls hat der Betreiber Total in diesem Sinne aus der ersten BP-Havarie scheinbar nichts gelernt. Nun ist der Total Konzern nicht unbedingt als bad guy der Szene bekannt. Damit bleibt zu hoffen, daß sich hier nicht die Fehler des Vertuschens und Verschleierns wiederholen. Vertrauen ist jetzt nur noch mit Transparenz und Öffentlichkeit zu gewinnen.
Die Total-Katastrophe hat aber noch eine weitere Frage aufgeworfen: »Wo ist eigentlich Herr Sieber?« Herr Dieter Sieber ist ein real existierender Ingenieur bei Exxon Mobil (Esso) in Deutschland und seines Zeichens Frackingexperte. Als Presenter (Testimonial) erläuterte er in einer Printkampagne und in TV-Spots die Notwendigkeit aber auch die Sicherheit des sehr umstrittenen Frackings. Im TV-Spot tat er das zum Beispiel mit diesen Worten:
»Wir haben hier in Deutschland das Potential großer Erdgasvorkommen. Wenn man mich fragt, ob es sicher ist diese Erdgasvorkommen zu entwickeln kann ich nur antworten: ja, absolut. Ich bin genauso an sicherem Trinkwasser interessiert, wie jeder andere Bürger auch. Um den Schutz des Grundwassers sicher zu stellen bringen wir bei einer neuen Bohrung zahlreiche Barrieren aus Stahl und Zement ein. Mein Name ist Dieter Sieber, und ich bin ein Ingenieur bei Exxon Mobil in Deutschland.«
Nun mag es Zufall sein, daß das Ende der sehr kurzen Exxon Mobil Werbekampagne zeitlich genau mit der Havarie der Elgin zusammenfällt. Jedenfalls wurde Herr Sieber ab diesem Zeitpunkt in Verbindung mit der Kampagne nicht mehr gesehen. Es darf vermutet werden, daß Exxon Mobil befürchten muß hier unglaubwürdig zu werden. Mit der Elgin wurde erneut der Beweis geliefert, daß keine Exploration – zumal technisch aufwendige – gefahrlos für Mensch und Umwelt möglich ist. Nicht einmal der Bergbau, mit jahrhundertealter Erfahrung, kann gefahrlos betrieben werden. Die unendlich lange Wikipedia-Liste von Unglücksfällen im Bergbau zeugt davon und endet heute vorläufig mit dem Eintrag: 4. April 2012, Kalisalz, Deutschland, Wunstorf, Gasaustritt, 1 Toter, 24 Verletzte. Es wird wohl nicht dabei bleiben. Selbst geothermische Bohrungen verlaufen häufig nicht ohne Schäden, sei es durch anschließende Erdstöße oder weil sich Anhydrit ungeplant in Gips umwandelt und so hunderte von Häusern beschädigt (Staufen im Breisgau, 2008).
Bei diesen Formen der Energieförderung darf es als absolut fahrlässig bezeichnet werden den Eindruck zu erzeugen, man könne Öl, Gas oder Wärme völlig gefahrlos für die Menschen und die Umwelt gewinnen. Der große technische Aufwand und das permanente Risiko bei der Förderung ist heute zum festen Bestandteil des hohen Preises für Energie geworden. Mit der Werbeaktion hat Exxon Mobil wohl weder sich noch seinem Mitarbeiter Herrn Sieber einen guten Dienst erwiesen.
rh2012-04-001