Professor aus Heidelberg

Professor aus HeidelbergDafür, daß das deutsche Steuerrecht das komplizierteste und intransparenteste der Welt sein soll, wurde zu dessen Vereinfachung bisher noch nicht allzuviel unternommen. Zwar erklären unsere Politiker schon seit Jahren, daß Anstrengungen zur Vereinfachung des Steuersystems erfolgen sollen, aber meist endete dies nur mit einem Dreh an der Steuerschraube und der Einführung weiterer Steuergesetze. Das Bedürfnis nach immer mehr Gesetzen beruht auf unserem besonderen Rechtsempfinden. Mehr noch als die Herstellung von Einzelgerechtigkeit wünscht man sich die Beseitigung von Einzelunrecht.

Im deutschen Steuersystem haben wir es nicht nur mit zwei Interessengruppen zu tun, also dem Staat und dem Steuerzahler, sondern mit vier Gruppen:

  • Zunächst die zahlenmäßig größte Gruppe. Das sind die sogenannten Normalverdiener und die, deren Einkommen gegenwärtig nicht versteuert wird. Sie erwarten ein verständliches und gerechtes Steuersystem mit niedrigen Steuersätzen.
  • Die zweite Gruppe wird gebildet von den wirklich vermögenden Privatpersonen und den Unternehmen. Sie erzeugen als vergleichsweise kleine Gruppe das größte Steueraufkommen. Ihr Interesse an einer Vereinfachung des Steuersystems ist eher gering, da sie sich ohnehin ihrer Steuerberater und Wirtschaftsprüfer bedienen. Niedrige Steuersätze hingegen stehen auch bei ihnen ganz oben auf der Wunschliste.
  • Die Steuerberater/Wirtschaftsprüfer haben naturgemäß kein Interesse an einem einfachen, wohl aber an einem einfacheren Steuersystem. Der Personalaufwand und das Risiko für Falschberatung sind hoch. Steuergerechtigkeit stellt für sie keine Normgröße dar sondern ist Teil des Gestaltungsspielraums. Dies, gepaart mit hohen Steuersätzen, sichert ihre Zukunft.
  • Neben den Lippenbekenntnissen Steuergerechtigkeit und –vereinfachung wünschen sich Staat und Politik als vierte Gruppe vor allem Ruhe und Stabilität in diesem Segment. Es ist risikofreier dem Wähler eine weitere Steuersenkung zu versprechen als das Messer an ein System anzusetzen, von dem man nicht mehr genau weiß, wie es eigentlich funktioniert.

Nun ist er zurück, der Steuerreformer Dr. Kirchhof, der von dem ehemaligen Bundeskanzler Schröder nur verächtlich als Professor aus Heidelberg betitelt wurde. Dynamischer und zuversichtlicher als zuvor tritt er in gleicher Sache erneut an, allerdings ohne dem Streben nach einem politischen Amt. Woher er die Zuversicht nimmt, daß sein Konzept heute auf fruchtbareren Boden fällt, ist unklar. Er sollte gelernt haben, daß die Einführung eines neuen Steuerkonzepts dem Bohren sehr dicker Bretter gleichkommt. Dies tut man nicht, wie in 2005 geschehen, im Rahmen einer Illner-Will-Plasberg Show, zumindest nicht erfolgreich. Auch für die Einführung eines solchen Steuerkonzepts braucht man ein Konzept und Medienkompetenz. Vielleicht sollte sich Herr Dr. Kirchhof einen Medianberater zur Seite nehmen, um überhaupt in die Erfolgsspur zu kommen.

Ob der Zeitpunkt für die Einführung seines neuen Konzepts heute günstiger als vor sechs Jahren ist, darf bezweifelt werden. Unsere Politiker haben nach der Weltwirtschaftskrise, der Bankenkrise, der Atomkrise und der Griechenlandkrise die Hosen immer noch gestrichen voll. Zweifel, ob der Atomausstieg wirklich gelingen wird, bleiben bestehen. Und wenn sich die politische Führung noch nicht einmal die Auswirkungen eines Bankrotts Griechenlands vorstellen kann, wie soll sie dann die Erfolgs- und Risikofaktoren eines kompletten Umbaus unseres Steuersystems bewerten können?

Sollte das Konzept von Herrn Dr. Kirchhof wirklich tragfähig sein, verdiente es Unterstützung. Dazu müßte es auf breiter Front öffentlich gemacht und immer wieder anhand von Beispielen erläutert und diskutiert werden. Dies wäre ohne die massive Unterstützung durch das Internet nicht denkbar. Es wäre wichtig die erste und zahlenmäßig größte Gruppe zu gewinnen. Denn sie eint der Wunsch nach

  • einem einfachen und verständlichen Steuersystem in dem der Steuerpflichtige ohne fremde Hilfe in der Lage ist seine Einkünfte und Aufwendungen gegenüber dem Finanzamt zu deklarieren. Oder salopp ausgedrückt: Er möchte die Steuererklärung, die er jährlich unterschreibt, auch verstehen können.
  • einem gerechten Steuersystem, bei dem sich niemand mehr im Sumpf von Vorschriften und Ausnahmetatbeständen sein zu versteuerndes Einkommen schön rechnen lassen kann.
  • mehr Netto vom Brutto. Die Steuerpflichtigen wissen, daß hierfür nicht nur die Höhe des Steuersatzes allein, sondern auch die Summe der Abgaben entscheidend mitbestimmend ist.

Stuttgart 21 und der Atomausstieg haben zuletzt sehr eindrucksvoll gezeigt, daß die Macht auch bei komplexen Themen sehr wohl vom Volk ausgehen kann. Die Kompetenz in Sachfragen liegt nicht ausschließlich bei einigen Wenigen. Nur über diesen beharrlichen Weg kann man die Bedenkenträger und Besitzstandswahrer der Gruppen zwei, drei und vier aus ihren Komfortzonen herausholen und mitreißen.

Eine Irritation bleibt allerdings bestehen. Das neue Modell wird wiederum als Flat-Tax-System mit einem Steuersatz von 25 Prozent für alle vorgestellt. Das ist in zweierlei Hinsicht problematisch. Zum einen kann die absolute Höhe des Steuersatzes nicht Bestandteil eines Steuerkonzepts sein, sondern muß seinen variablen Teil darstellen. Höhe und Verlauf zukünftiger Steuersätze bilden sich allein aus gesellschaftlichen und fiskalischen Erfordernissen. Zweitens wurde bereits vor sechs Jahren deutlich, daß weite Teile aus Öffentlichkeit und Politik einen gemeinsamen Steuersatz für ungerecht halten. Besserverdienende sollten demnach auch mit einem höheren Steuersatz belegt werden können. Warum also beginnt der Relaunch des Steuerkonzepts von Herrn Dr. Krichhof mit dieser hohen Hürde? Sollte er am Ende doch nichts dazugelernt haben, der Herr Professor aus Heidelberg?
rh2011-07-001