Bundestrojaner gibt Piraten Rückenwind

Treffender als mit dem Begriff Stasi 2.0 läßt sich der gegenwärtige Verfassungsbruch um den oder die Bundes-/Staats- oder Landestrojaner nicht bezeichnen. Die zunehmende und scheinbar völlig unverhohlene Stasifizierung Deutschlands ist erschreckend. Telefonüberwachungsmaßnahmen bei bloßem Verdacht auf Steuerhinterziehung oder Hehlerei werden bereits seit vielen Jahren nachweislich durchgeführt und sind von der Öffentlichkeit auch weitgehend akzeptiert. Die Steigerung davon, der sogenannte Große Lauschangriff, feiert in seinen verschiedenen Ausprägungen auch schon bald den fünfzehnten Geburtstag und die Eskalation stellt dann wohl gegenwärtig der Bundestrojaner dar.

Warum stasiartige Kontrollsucht gerade bei westdeutschen Politikern dankbar angenommen wird ist unklar. Unklar bleibt auch, warum ostdeutsche Politiker, die doch über hinreichende Erfahrung verfügen müßten, hier nicht stärker korrigierend eingreifen. Fest steht aber auch, daß es wieder einmal insbesondere die CSU Politiker sind, die sich einmal mehr als verfassungsrechtliche Problembären zeigen.

Die bayrische Landesregierung wurde – kurz zusammengefaßt – dabei ertappt, daß sie bereits seit vielen Monaten den Mitarbeiter eines pharmazeutischen Betriebs wegen des Verdachts auf illegalen Medikamentenhandel online überwacht. Zu diesem Zweck wurde vom (Bundes-) Zoll ein schlecht programmierter Trojaner auf dem Laptop des Verdächtigen installiert. Nur durch die Umsicht seines Anwalts und der Fachkompetenz des Chaos Computer Clubs (CCC) konnte der ganze Vorgang öffentlich gemacht werden. Während der Überwachungsphase sendete das Programm unbemerkt Internet-Telefongespräche und mehrere zehntausend Screen-Shots an einen amerikanischen Server, der vom bayrischen Landeskriminalamt angemietet worden war.

Die Reaktionen der CSU Verantwortlichen waren fast erwartungsgemäß. Der bayrische CSU Innenminister Joachim Herrmann, hält den Einsatz des Trojaners für absolut verfassungskonform. Durch falsche Behauptungen des CCC würden seiner Meinung nach Mißverständnisse geschürt. Der CSU Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich, ein Verfechter der Vorratsdatenspeicherung und Gegner der Anonymität im Internet, will für Aufklärung sorgen. Ein besonders schwerer Fall ist der CSU Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende der Arbeitsgruppe Innenpolitik Hans-Peter Uhl. Er gibt sich in Bezug auf Internetsperren und Vorratsdatenspeicherung gern obrigkeitsstaatlich. In seiner aktuellen Pressemitteilung hieß es:

»Wer dagegen wie die Bundesjustizministerin eine spezialgesetzliche Rechtsgrundlage für die Quellen-TKÜ verweigert und die Strafverfolgungsbehörden damit zum Rückgriff auf die allgemeine TKÜ-Rechtsvorschrift zwingt, darf nicht beklagen, dass Vorgaben nicht eingehalten würden, die es derzeit noch nicht gibt und für deren Schaffung die Justizministerin zuständig wäre. Eine Skandalisierung legitimer Maßnahmen dagegen hilft nicht weiter.«

Ob dieser Rechtsauffassung sollte Herr Uhl noch einmal tief in sich gehen. Das Bundesverfassungsgericht beschreibt in seinen Leitsätzen zum Urteil des Ersten Senats vom 27. Februar 2008 (1 BvR 370/07) ausführlich und eindeutig die Modalitäten zur Überwachung. Das Fehlen eines von Herrn Uhl erwarteten Spezialgesetzes interpretiert dieser als Einladung zum Bruch der Grundrechte. Er wähnt sich scheinbar in einem rechtsfreien Raum. Tatsächlich aber liegt ein eindeutiger Rechtsverstoß vor, sofern die vom CCC untersuchte Software wirklich zum Einsatz kam. Zum einen läßt sich der Mitarbeiter des Pharmaunternehmens mit Sicherheit nicht zur Zielgruppe für eine derartige Überwachungsmaßnahme zurechnen. Zum anderen leistet die vom bayrischen Landeskriminalamt eingesetzte Schadsoftware mehr als erlaubt ist und sie hat auch mehr geliefert. Die durch den CCC untersuchten Programme wiesen überdies erhebliche Mängel im Bereich Kryptographie und Authentifizierung auf, sodaß sich Dritte Zugang zu den Systemen hätten verschaffen können. Damit wäre aber nicht mehr eindeutig belegbar, von wem die auf dem Server abgelegten Daten stammen. Die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Systemintegrität wäre somit nicht gegeben.

Unabhängig von der Rechtsprechung und mit der Kenntnis, daß auch weitere Bundesländer diesen oder ähnliche Trojaner bereits eingesetzt haben, stellt sich die Frage, wieso scheinbar jeder Landesfürst nach eigenem Ermessen solche Überwachungen durchführen darf. Am Ende kostet es immer das Geld des Steuerzahlers. Die gesetzliche Grundlage ist so eindeutig, daß sich hieraus detaillierte Organisations- und Handlungsanweisungen ableiten lassen sollten. Ferner dürfte sich daraus ein Lastenheft erstellen lassen, das die genaue Funktionalität der zukünftigen Überwachungssoftware beschreibt und so Grundlage einer Ausschreibung sein kann. Am Ende gibt es dann genau einen zertifizierten Bundestrojaner, der immer in der aktuellsten Version und von autorisierter Stelle abgerufen werden kann.

Das Abstoßende an dem Vorfall Bundestrojaner ist nicht sein Einsatz. Der ist demokratisch entschieden und legitimiert. Das abstoßende Element findet sich in der Reaktion der verantwortlichen Politiker, die leugnen, die abstreiten, die sich im Recht wähnen, die nach und nach zugeben und die aus Unwissenheit nicht mehr trennen können zwischen technisch machbarem und gesetzlich erlaubtem. Viele Politiker haben ihr Gespür verloren, was der Wähler noch toleriert. Hier sind wieder einmal deutlich Grenzen überschritten worden. Man muß kein Hellseher sein, wenn man voraussagt, daß dieser Vorgang der Piratenpartei auf Bundesebene am Ende vermutlich zwei Prozentpunkte beschert haben wird. Zum Dank sollten die Piraten, sofern ihr Parteibudget das zuläßt, wöchentlich einen Blumenstrauß in die Bayerische Staatskanzlei schicken. Dort, im Foyer aufgestellt, würden die bayrischen CSU Politiker täglich an die Verfassungsmäßigkeit ihrer Arbeit erinnert werden.
rh2011-10-003