Gauck sagt Ukraine ab

Gaucks Kritiker mußten nicht lange auf eine Bestätigung ihrer Befürchtungen warten. Bei seinem ersten Auslandsbesuch als Bundespräsident durfte Herr Gauck in Polen erneut sein Demokratie-Freiheit-Feuerwerk abbrennen, was ihm – den übermittelten Bildern zufolge – sichtlich Vergnügen bereitete und dort wohl auch auf fruchtbaren Boden fiel. Später in Brüssel dann machte er sich – bar jeglicher Ökonomischer Vorbildung – stark für den Euro und Europa. Herrn Barroso gefiel das wohl ebenso.

Nun hat Herr Gauck, nach eigenem Bekunden ein Menschenrechtler der ersten Stunde, die Ukraine für sich entdeckt. Er hat dort Menschenrechtsverletzungen, insbesondere gegenüber der Oppositionsführerin Timoschenko, deren Rolle im übrigen völlig unklar ist, festgestellt. Das hätte er auch schon vor einer Woche, einem Monat oder einem Jahr tun können, aber er tat es aus unbekannten Gründen erst jetzt, wenige Wochen vor der Fußball-EM. Seine Konsequenz: Er sagte aus Protest seine Teilnahme an einem politischen Treffen europäischer Präsidenten, die Mitte Mai in Jalta stattfinden soll, ab.

Es war bei deutschen Politikern und Menschenrechtlern bisher nicht unüblich ein Regime bereits vor Reiseantritt öffentlich zu kritisieren und nach Ankunft im betreffenden Gastland diese Kritik gegenüber der Regierung zu wiederholen. Der Bundespräsident spart sich den zweiten Schritt und sendet damit diese Botschaft aus:

  • Gauck wählt den bequemen Weg und vergibt Chancen. Er scheut offensichtlich die direkte Auseinandersetzung mit dem Präsidenten Janukowitsch und sucht auch nicht – medienwirksam – das persönliche Gespräch mit Frau Timoschenko.
  • Gaucks Ukraine-Boykott war wohl nicht mit seinen Amtskollegen abgesprochen. Er hat sich mit seiner Absage auf eine höhere moralische Stufe begeben, auf der er jetzt über all denen steht, die der Einladung der ukrainischen Regierung Mitte Mai folgen werden. Seinen europäischen Kollegen wird wahrscheinlich weder sein Alleingang noch der durch ihn erzeugte Zwang gefallen.
  • Die deutschen Fußballspieler werden in ein Thema hineingezogen, das nicht zwangsläufig ihr Thema ist. Sie wollen vermutlich unbelastet in die Europameisterschaft einsteigen, spielen und gewinnen. Aber sie wollen sicher nicht als diejenigen dastehen, die aus moralischen Gründen besser nicht angetreten wären.
  • Gauck legt sich auf Frau Timoschenko und ihr Schicksal fest. Sollte die internationale Kritik an der Ukraine jedoch berechtigt sein, so müßte es hunderte oder gar tausende Timoschenkos geben. Wer setzt sich für sie ein?

Ein deutscher Bundespräsident sollte versöhnen statt spalten. Dies kann nur durch Gespräche geschehen, denen Gauck sich aber geradezu entzieht. Auf keinen Fall darf sich die Bundesregierung als Blaupause für eine lupenreine Demokratie in Europa verstehen, die sie letztendlich ohnehin nicht mehr ist. Es reicht schon, wenn die Bundesregierung glaubt innerhalb der EU und des Euro-Raums den Ton angeben zu müssen. Vielleicht ist Gauck nur ein Präsident für schönes Wetter und ebensolche Reden. Ein direktes Konfliktgespräch mit der ukrainischen Regierung scheut er, und ihm fehlt die strategische Klugheit sich zuvor mit seinen Amtskollegen zu verbünden um die Wirkung zu vervielfachen. Die kommenden Tage und Wochen bis zur Fußball-EM bleiben spannend.
rh2012-04-003