In den letzten Wochen war viel zu erfahren, wo sich die Demokratie in Deutschland – die ja auch zu einem Teil der europäischen Demokratie geworden ist, et vice versa – aktuell verorten läßt. Im Zusammenhang mit den erweiterten Euro-Rettungsmaßnahmen ließen insbesondere die Unionspolitiker keinen Zweifel daran, ihre gesteckten Ziele mit allen Mitteln durch zu wollen. Eine handvoll Politiker aus CDU und FDP, die sich aus Gewissensgründen gegen die Ausweitung des Euro-Rettungsschirms stellten, wurden als Abweichler, Abtrünnige oder noch schlimmer diffamiert. Jeder, der sich nicht dem Fraktionszwang beugte, war automatisch Euro- und damit Europagegner. Im Grunde genommen nicht ganz zurechnungsfähig. Zumindest sahen völlig hysterische Fraktionsmitglieder dies mehrheitlich so. Ganz anders hingegen die breite Öffentlichkeit. Über siebzig Prozent war diversen Umfragen zufolge gegen eine Ausweitung der Eurohilfen aber über achtzig Prozent der Abgeordneten stimmten letztendlich dafür. Vergleichbar mit der Situation der FDP: Sie hat zwar jeglichen Rückhalt bei den Wählern verloren (zwei bis drei Prozent je nach Umfrage), darf aber fleißig weiter regieren.
Einen dieser sogenannten Abweichler traf es bei der Bundestagsabstimmung besonders hart. Richtiger wäre, daß der Vorgang besonders publik wurde. Wolfgang Bosbach, ein Mensch, der sich nach eigenen Worten ausschließlich seinem Gewissen verpflichtet fühlt und an keiner Kamera vorbeikommt, ohne seine Meinung mitzuteilen, wurde aufs übelste von dem derzeitigen Kanzleramtsminister und Parteikollegen Ronald Pofalla beschimpft. Die Qualität Pofallas Tirade lag auf Sandkastenniveau der frühen Kindheit. Natürlich wurde in der Strauß-Wehner-Ära auch heftig gestritten, aber diese Politiker wirkten zumindest authentisch. Die gegenwärtige Regierung, die sich gerne mal als Gurkentruppe oder Wildsäue bezeichnet, ist in der Europafrage hingegen offensichtlich völlig überfordert. Ihnen fehlt zudem der Sachverstand, und wenn sie schon falsche Entscheidungen von bisher nicht dagewesener Tragweite treffen müssen, dann wollen sie dies zumindest einstimmig tun. Daß ihr Verhalten das Bürgervertrauen nachhaltig schädigt scheint ihnen gleichgültig zu sein.
Auch aus Amerika kommen die ersten Reaktionen. US-Präsident Obama ist zwar gerade im Begriff die gesamte US-Volkswirtschaft gegen die Wand zu fahren, da sucht er noch einen Mitschuldigen der Misere und ermahnt die Europäer ihre Finanzgeschäfte schleunigst neu zu ordnen. Währenddessen sich die Protestbewegung Occupy Wall Street, deren Zentrum im New York liegt, nun auf weitere Großstädte in den USA ausbreitet. Dort protestiert man gegen die ungleiche Verteilung des Wohlstands.
Der deutsche Vizekanzler und Wirtschaftsminister Rösler, tourt derweilen durch Griechenland. Das schlimme Wort Insolvenz nimmt er dort nicht mehr in den Mund. Er bedient sich jetzt der neuen Wortkreation Resolvenz. Das klingt wesentlich harmloser, fast so, als ob die Insolvenz bereits über das Land hinweggefegt sei und sich die Nation nun auf dem Weg der Besserung befinden würde. Es hat den Klang von Rekonvaleszenz, also dem Gesundungsprozeß, der auf die überwundene Erkrankung folgt und den griechischen Patienten zur alten Stärke zurückführen soll. Derweil erklärt die griechische Regierung, daß sie die gesamte griechische Bevölkerung geschlossen hinter sich weiß. Dennoch fliegen auf den Straßen Pflastersteine und es brennen Abfallcontainer.
Genau in dieses wirtschaftspolitische Gesamtklima ließ Frau Dr. Merkel die nächste Bombe platzen. Sie verspricht den Banken für den Notfall Finanzhilfen. Spontan drängen sich die Standardfragen auf: Welche Banken (Deutschland, Europa, Rest der Welt) sind betroffen? Um welchen Notfall handelt es sich und wann wird er eintreten? Mit wem wurde das abgestimmt? Mit wessen Geld werden diese Finanzhilfen ausgestattet? Gut, die letzte Frage ist überflüssig, da immer der deutsche Steuerzahler herhalten muß. Aber weiß das auch Frau Dr. Merkel? Oder anders gefragt: Wie lange kann Frau Dr. Merkel noch gegen die Mehrheit des Volkes anregieren?
Nach Lehman-Bank, HRE und Co. kam es 2008 zur Bankenrettung #1. Mit dem Euro-Rettungsschirm erlebt Europa jetzt eine indirekte Bankenrettung #2. Und nun soll es sozusagen zur Bankenrettung-Reloaded #3 kommen. Dabei wurde doch speziell für notleidende Banken der SoFFin (Finanzmarktstabilisierungsfonds) eingerichtet und vor wenigen Wochen wurden die Ergebnisse des sogenannten Banken-Streßtests veröffentlicht, die keinen Anlaß zur Sorge gaben. Offensichtlich haben die Banken ihr Erpressungspotential gefunden. Sie verhalten sich so, als würden sie einen Vollkaskoschutz auf Kosten der Steuerzahler genießen. Selbst die kleinste Bank scheint systemrelevant zu sein, aber knapp elf Millionen Griechen darf man öffentlich vorführen, maßregeln und mit Insolvenz drohen. Bei alldem kann man zwar ruhig und gelassen bleiben, zu empfehlen ist das aber nicht.
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