Jenseits des Euros

Jenseits des EurosDer Präsident der europäischen Kommission, José Manuel Durão Barroso, ausgestattet mit einer hohen fachlichen Kompetenz in Sachen Politik und Wirtschaft, und einem echten Interesse an einem stabilen und prosperierenden Europa, tat seinen Job bisher, soweit zu erkennen war, souverän und ohne affektierte Eitelkeit, die sonst bei nationalen Politikern so häufig zu beobachten ist. Bei öffentlichen Auftritten formuliert er klar und präzise, was er denkt und was er zu tun gedenkt. Raum für Mißverständnisse konnte sich so meist nicht bilden. Und nun das. Mit seinem Brief vom 3. August 2011 an die siebzehn Staats- und Regierungschefs der Euro-Inhaber-Länder hat er nicht nur bei den nationalen Parlamenten und Parteien Irritation und Fassungslosigkeit ausgelöst, auch die Finanzbranche ist desorientiert, und Millionen privater Geldanleger sind einmal mehr in großer Sorge um den Wert ihrer Ersparnisse.

Noch vor 14 Tagen gab sich dieser Kommissionspräsident öffentlich zufrieden mit dem Ergebnis des vorläufig letzten, eilig einberufenen Sondergipfels zur Rettung des Euros am 21. Juli 2011. Es sei, so seine Formulierung, ein »glaubwürdiges Paket« geschnürt worden, und sagte wörtlich:

»Ladies and Gentlemen,
we needed a credible package,
we have a credible package.«

Heute klingt alles ganz anders. Plötzlich ist das vor wenigen Tagen erreichte nicht mehr genug. In diesen wenigen Tagen hat sich allerdings nichts Entscheidendes verändert. Griechenland ist völlig pleite und liegt komatös auf der Intensivstation. Irland und Portugal liegen nur zwei Betten weiter, sind aber noch ansprechbar. Italien und Spanien haben längst ihre schwere Diagnose erhalten und bereiten sich auf den Gang ins Krankenhaus vor. Zypern wird wahrscheinlich aufgrund einer beschädigten Stromversorgung implodieren. Die Finanzsituation der USA ist ein Fiasko, die neuesten Arbeitsmarktzahlen möchte man gar nicht erfahren, und China bekommt seine Inflation nicht in den Griff. Aber sonst ist eigentlich alles in Ordnung oder weiß Herr Barroso mehr?

In seinem als Brandbrief bezeichneten Schreiben an die siebzehn Staats- und Regierungschefs bezeichnet er die Entwicklung der Anleihemärkte in Italien, Spanien und weiteren Euro-Mitgliedsstaaten als zutiefst besorgniserregend. Ferner stellt er fest, daß die mutigen Entscheidungen vom 21. Juli 2011 nicht die gewünschte Wirkung auf die Märkte zeigen. Neben den Gründen des Scheiterns, wie globale wirtschaftliche Unsicherheit, sieht er an erster und wichtigster Stelle die Komplexität und Unvollständigkeit des Juli-Pakets und die undisziplinierte Kommunikation im Umgang mit diesem Paket. Die Krise erstrecke sich auch nicht mehr ausschließlich auf den Rand der Eurozone. Barroso bittet in seinem Brief die Parlamente der Länder um eine beschleunigte Abwicklung der Genehmigungverfahren der EFSF-Darlehen.

In einem entscheidenden Punkt seines Briefes läßt Herr Barroso es leider an Deutlichkeit fehlen. Darin bittet er um eine zügige Neubewertung aller Elemente, die im Zusammenhang mit EFSF/ESM stehen, um sicherzustellen, daß sie bei einer Ansteckung auch wirken:

»I also take the opportunity to urge a rapid re-assessment of all elements related to the EFSF, and concomitantly the ESM, in order to ensure that they are equipped with the means for dealing with contagious risk.«

Erst eine Sprecherin der europäischen Kommission machte auf Anfrage klar:

»When he speaks about all elements it means all elements, and all elements may well include the size.«

Mit anderen Worten, es soll auch noch einmal die Größe des Euro-Rettungsschirms, der gegenwärtig 440 Milliarden Euro umfaßt, überprüft werden.

Außer in den eigenen Reihen hat Herr Barroso keinerlei Zustimmung zu seiner Briefaktion erhalten. Sogar die Börsen haben regiert, allerdings negativ. Dabei ist es doch Allgemeingut, daß Börse und Kapitalmärkte sehr viel mit Psychologie zu tun haben. Dies scheint jedoch noch nicht zu Herrn Barroso vorgedrungen zu sein. Offensichtlich hat er geglaubt, daß ein bunter Haufen Staats- und Regierungschefs, die alle in hohem Maße auch nationalen Interessen folgen, die Finanzmärkte durch ein mit heißer Nadel gestricktes Kompromißpapier nachhaltig beruhigen kann. Diese Fehleinschätzung beunruhigt weit mehr, als die Tatsache, daß die Kapitalbeschaffungszinsen für Italien und Spanien in den letzten Tagen weniger als erhofft gesunken sind. Herr Barroso beklagt in seinem Schreiben, daß die disziplinlose Kommunikation rund um das Rettungspaket ein wichtiger Faktor seiner Wirkungslosigkeit war. Mit seinem Schreiben aber reiht er sich nun ein in die Schlange der Undisziplinierten.

Am Ende bleibt die Frage, was Herrn Barroso verleitet hat diesen Brief zu schreiben. Sicher nicht, um sich von einem Sprecher des deutschen Finanzministeriums abkanzeln zu lassen. Oder weiß er mehr, als unsere Regierungsvertreter sich trauen uns mitzuteilen und sind wir schon längst jenseits des Euros? Das wäre in der heutigen Zeit und der Informationsdichte über die wir verfügen eher unwahrscheinlich. Vielleicht war es nur eine einfache Form der Dummheit. Wenn da nicht Herr Trichet, oberster Boß der EZB, zeitgleich und regelwidrig wieder damit begonnen hätte Staatsanleihen zur Stützung der Euro-Länder aufzukaufen. Ist also doch etwas faul im Euroland? In Demokratien brauchen Entscheidungsprozesse ihre Zeit, so wie die darauf folgenden Wirkprozesse ihre Zeit brauchen. Dann ist es geradezu kontraproduktiv planlos am Ruder zu zerren, da man sich damit selbst der Chance beraubt zu erkennen, welche Maßnahmen wirken und welche nutzlos sind. Dann ist es einfach besser die Füße still und mal die Klappe zu halten.
rh2011-08-003