Wellen an der Kiellinie

Wellen an der KiellinieAls Exil-Kieler verfolgt man am Rande natürlich die schleswig-holsteinische Landespolitik ein wenig mit. Schleswig-Holstein ist zwar mit Abstand das schönste Bundesland von allen, aber es ist wirtschaftlich und politisch eher unbedeutend. Gerade daher ist es interessant zu sehen, welche medienwirksamen Fehlleistungen die Landespolitiker an der Förde erzeugen können. Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Partei spielt dabei offensichtlich keine Rolle, aber die Skandaldichte scheint im Norden besonders hoch zu sein.

Barschel

Man darf zum Beispiel an den Skandal Waterkantgate erinnern. Die Stichworte hierzu lauten: Barschel, Spiegel, Pfeiffer, Engholm. Dr. Uwe Barschel, der am 13. September 1987 knapp zum Ministerpräsidenten wiedergewählt wurde, sagte am Freitag darauf in einer Pressekonferenz, die deutschlandweit für erhebliches Aufsehen sorgte:

»…, gebe ich den Bürgerinnen und Bürgern des Landes Schleswig-Holsteins und der gesamten deutschen Öffentlichkeit, mein Ehrenwort – ich wiederhole – ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß die gegen mich erhobenen Vorwürfe haltlos sind.«

Genau vierzehn Tage später mußte der Ministerpräsident Dr. Barschel auf Druck seiner Partei den Hut nehmen. Ein Mann, der öffenlich sein Ehrenwort gegeben hat. Alles Weitere ist bekannt.

Engholm

Auch die Laufbahn seines Nachfolgers, Björn Engholm, nahm ein unrühmliches Ende. Offensichtlich war die zurückliegende Barschel-Pfeiffer-Affäre noch längst nicht zu den Akten gelegt worden. Sie hatte noch genug Kraft um auch Jahre später den Ministerpräsidenten Engholm aus seinem Amt zu drängen. Im Zusammenhang mit der sogenannten Schubladenaffäre wurde der Ministerpräsident der Unwahrheit überführt, und mußte im Mai 1993 von seinem Amt zurücktreten.

Simonis

Sein direkter Nachfolger, und später im Rahmen privater Fernsehauftritte als Hoppel-Heide verspottete Ex-Politikerin, wurde Heide Simonis. Frau Simonis hatte es im Grunde genommen nicht mit einem richtigen Skandal vom Format der Waterkantgate zu tun, aber auch sie erhielt im Jahr 2005 bundesweite Presse. Im Rahmen ihrer Wiederwahl trat sie im Februar in einer Montags-Talkshow der ARD auf und antwortete auf die Frage nach ihrer politischen Zukunft im Falle einer großen Koalition im Kieler Landtag:

»Und wo bleibe ich dabei?«

Nie zuvor hat ein Politiker so spontan, direkt, mit klarer Formulierung und tiefgründiger Ehrlichkeit zugegeben, daß ihm seine persönliche Zukunft wichtiger sei, als das Wohl des Landes und seiner Bevölkerung. Dazu paßt dann auch das Bild, daß sie am 17. März 2005 im Kieler Landtag von sich abgegeben hat. In vier Wahlgängen versuchte sie die Mehrheit, die für das erneute Entern des MP-Stuhls erforderlich gewesen wäre, zu erzwingen. Viermal jedoch ließ sie jemand aus ihrer Partei am ausgestreckten Arm verhungern. Der Unbekannte wurde später verächtlich der Heide-Mörder genannt.

Carstensen

Ihr Nachfolger, Peter Harry Carstensen, öffentlich meist mit vertauschten Vornamen angesprochen, hatte keine Skandale, aber er hatte auch keine öffentliche Aufmerksamkeit. Mit einer kleinen Ausnahme. Er versuchte gleich zu Beginn seiner Amtszeit über die Bild-Zeitung eine Sozialpartnerin für sich zu finden, was er allerdings später wohl bereute. Ansonsten fand Herr Carstensen südlich der Elbe oder in den einschlägigen Polit-Talkshows nicht statt.

von Boetticher

Noch bevor Betulichkeit in Schläfrig-Holstein wieder einziehen konnte, erregt nun ein neuer Skandal, wiederum mit bundesweiter Beachtung, die Menschen. Auslöser ist diesmal der CDU-Spitzenkandidat Dr. Christian von Boetticher, der nach den Vorstellungen der CDU im kommenden Jahr zum Ministerpräsidenten des Landes gewählt werden sollte. Der Kandidat gestand auf einer Pressekonferenz sehr emotionsgeladen seine kurze, aber, nach eigenen Worten, sehr intensive Beziehung zu einer damals Sechzehnjährigen aus Nordrhein-Westfalen Anfang 2010. Bereits nach wenigen Monaten beendete er das Verhältnis wieder, da es seiner weiteren Karriere abträglich geworden wäre. Er wurde seinerzeit parteiintern zum Nachfolger von Peter Harry Carstensen auserkoren.

Heute, gut ein Jahr später und nur neun Monate vor den nächsten Landtagswahlen, beschließt die SH CDU, daß Herr von Boetticher von allen Ämtern zurücktreten soll, da sein Verhalten, das übrigens nicht justiziabel ist, gesellschaftlich keine Akzeptanz finden würde. Diese Entscheidung führte zum besagten Presseauftritt. Einen Beschluß mit derartiger Begründung würde man üblicherweise in Regionen mit überwiegend katholischem Bevölkerungsanteil verorten. Aber das trifft auf Schleswig-Holstein nun gar nicht zu. Ist die Gesellschaft, die tagtäglich mit den unterschiedlichsten Lebensmodellen konfrontiert wird, nicht viel weiter als die Landes-CDU? Man könnte sich zwar fragen, wie ein Vierzigjähriger strukturiert sein mag, der eine Beziehung zu einer minderjährigen jungen Dame unterhält. Aber deswegen muß er ja kein schlechter Politiker sein. So ganz nimmt man der CDU die Begründung nicht ab. Oder gab es am Ende doch Zweifel an der politischen Eignung des Kandidaten? Im Ergebnis, nicht aber in der Beurteilung, hat die CDU Schleswig-Holsteins dennoch richtig gehandelt. Ein Mensch, der seine große Liebe der eigenen Karriere wegen opfert, dem fehlt die charakterliche Eignung für ein höheres politisches Amt.
rh2011-08-005