Was sind Gaucks Ziele?

Über Herrn Joachim Gauck als zukünftigen Bundespräsidenten ist ja fast alles bekannt, da er nun zum zweiten mal antreten wird. Aber genau das wirft auch schon die erste Frage auf. Warum tritt jemand erneut für ein Amt an, bei dessen Wahl er knapp zwei Jahre zuvor nur zweiter Sieger war? Sagt das schon etwas über den Charakter eines Menschen aus und sind die Voraussetzungen, wie sie sich heute darstellen, andere als noch vor zwei Jahren?

Vor zwei Jahren kam, wie bei Bundespräsidentenwahlen üblich, natürlich kein demokratisches Wahlergebnis zustande. Die Wähler unterlagen Fraktionszwängen oder einer Parteiraison. Die zur Wahl stehenden konnten sich so ungefähr vorher ausrechnen, welche Chancen sie wohl haben würden. Dennoch wäre es interessant gewesen zu wissen, welches Ergebnis eine freiheitliche Wahl wohl zutage gefördert hätte. Herr Gauck jedenfalls war der heimliche Favorit der Deutschen. Dies senkt schon mal die moralische Barriere für einen zweiten Antritt. Zudem gibt es keinen wirklichen Konkurrenten mehr dem er unterliegen könnte. Außerdem ist seine Fallhöhe deutlich geringer geworden, denn er hat nun bereits zwei gescheiterte Präsidenten als Vorgänger. Also, warum nicht antreten, wo sollte das Risiko liegen?

Aber stimmt es denn, daß alle ihn wollen? Bei Umfragen in der deutschen Bevölkerung lagen die Ergebnisse zunächst bei knapp über 40 Prozent, später dann bei etwas über 50 Prozent Zustimmung. Warum zum Beispiel lehnt Frau Dr. Merkel den Kandidaten Gauck so nachdrücklich ab? Die kühle Taktiererin, die sie zweifelsfrei ist, die sich lieber nicht bewegt, als eine Bewegung in die falsche Richtung zu machen, läßt die Öffentlichkeit über die wahren Gründe ihrer Ablehnung im Unklaren. Eine Frau als Bundespräsident, Ost wie West, müßte sie ablehnen, da sie sich ausmalen kann, daß der bundesdeutsche Wähler zwei Frauen an der Spitze nicht tolerieren würde. Damit wäre auch ihre eigene Wiederwahl in 2013 gefährdet. Aber zwei Ostdeutsche aus evangelisch kirchlichem Umfeld stellten jedoch kein wirkliches Problem dar. Welche Schwierigkeiten also hat Frau Dr. Merkel mit Herrn Gauck?

Der neue Bundespräsident wird sein Amt ab Mitte März 2012 antreten in dem Bewußtsein, daß

  • SPD und Grüne mehrheitlich zu ihm stehen
  • die FDP ihn aus rein wahltaktischen Gründen vorgeschlagen hat
  • die Union letztendlich nur zugestimmt hat um die Koalition zu retten
  • die Linke ihn praktisch komplett ablehnt

Nach richtigen Freunden, die ihm in schwierigen Zeiten Rückhalt bieten können, sieht das also nicht aus und Zuspruch von Seiten der Kanzlerin wird er kaum erwarten können. Wie hat der Bundesbürger das Nominierungsverfahren erlebt? Es war völlig überhastet, phantasielos, stellte überwiegend farblose Kandidaten zur Diskussion und gab gute Einblicke in das heillos zerstrittene Parteiengeflecht, das dieses Land regiert. Es gibt zweifelsfrei Situationen, in denen es besser wäre Gesetze und Vorschriften auszulegen statt sie strikt zu befolgen. Denn, wer hätte wen verklagt, wenn der neue Bundespräsident nicht fristgerecht bis zum 18. März 2012 hätte eingesetzt werden können. Etwas weniger Aktionismus und mehr Bürgerbeteiligung und Diskussion wäre hier durchaus angebracht gewesen.

Nach seinen zukünftigen Zielen befragt antwortet Herr Gauck öffentlich meist etwas enigmatisch, daß er sich für Freiheit und Demokratie einsetzen und den Bürgern näher bringen will, ohne die näher zu erläutern. Es scheint dann so, als hätte er seine Vergangenheit, vielleicht sogar Teile seiner eigenen Erziehung, zu seinem Beruf gemacht. Wenn also der Einsatz für die Demokratie seine Hauptmission werden sollte, dann müßte er sehr aufpassen, daß er nicht 60 Millionen Westdeutsche, die hier keinerlei Defizite aufweisen, dauerhaft unterfordert. Dies könnte dann schnell in Langeweile und schließlich in Desinteresse umschlagen. Daher wäre er gut beraten sich auf ein zweites Thema, vielleicht sogar als das höherrangige, vorzubereiten: Zum Beispiel die Gerechtigkeit. Ein dankbares Thema mit hohem Aufarbeitungspotential in allen Bereichen des gesellschaftlichen Zusammenlebens, das alle Bevölkerungsschichten gleichermaßen anspricht.
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