Die ARD, Das Erste, zeigte gestern in der Sendung Günther Jauch die Bundeskanzlerin als Einzelgast bei Günther Jauch zu dem Thema »Der Kampf um den Euro«. Dabei gab sie eine Stunde lang Antworten auf Jauchs Fragen. Der Fragestil erinnerte dabei stark an das frühere RTL-Gesäusel des Moderators oder vielleicht auch Johannes B. Kerner (gibt es den eigentlich noch?). Vermutlich dürften die Deppendorfs, Schaustens und Co. während dieser Sendung ungeduldig auf ihren Sofas hin und her gerutscht sein. Kritisch oder gar investigativ war hier jedenfalls nichts. Aber vermutlich wäre Frau Dr. Merkel deren Einladung auch gar nicht gefolgt.
Andererseits waren die sechzig Minuten nicht ganz unnütz. So versicherte sie zum Beispiel glaubhaft, daß sie sich auch insbesondere bei Europa- und Eurofragen durch externe Experten beraten läßt, um dann am Ende ihre eigenen Entscheidungen zu treffen. Ebenso konnte man ihr abnehmen, daß sie wirklich zu Europa und dem Euro steht und zu dem, was sie sagt.
Vollkommen neu war hingegen ihre Erläuterung, warum, entgegen landläufiger Meinung, gerade nicht gegen die No-Bailout-Klausel verstoßen wurde. So sei der ganze Aktionismus mit Rettungsschirm (ESM) und EFSF nicht darauf gerichtet speziell Griechenland zu helfen – die müßten sich nach ihren Worten aus eigener Kraft aus ihrer Situation befreien – sondern diene ausschließlich der Stabilität des Euros und damit dem Schutz aller Eurostaaten. Und ihr vermeintlicher Sinneswandel – vor elf Monaten war sie noch ausdrücklich gegen einen Rettungsschirm – sei nur diesem Umstand geschuldet.
Es fragt sich, warum diese Erläuterungen erst jetzt und sehr spät kommen. Wenn man ihnen Glauben schenken mag, hätte sich die Öffentlichkeit in den letzten Monaten viel Aufregung und Empörung ersparen können. Jetzt ist ihre Wirkung nur noch schwach und viel Vertrauen wurde verspielt.
Und noch etwas konnte der geneigte Zuschauer dazulernen. Frau Dr. Merkel geht selbstverständlich nicht davon aus, daß es jemals zur Erfüllung der Bürgschaftsverbindlichkeit kommen wird. Sie glaubt also, daß der Hauptschuldner (Griechenland) alle bestehenden und zukünftigen Verbindlichkeiten gegenüber den Gläubigern vollständig und termingerecht bedienen können wird. Diese Einstellung ist jedoch fatal verharmlosend. Jeder Student der Wirtschaftswissenschaften lernt bereits im ersten Semester in einer der begleitenden Rechts-Vorlesungen, daß eine Bürgschaft nur dann übernommen werden darf, wenn der Bürge jederzeit über liquide Mittel in Höhe der Bürgschaftsverbindlichkeiten verfügt. Also die Erfüllung als Normalfall. Deutschland hingegen müßte hierzu selbst weitere Kredite aufnehmen.
Dennoch wird Frau Dr. Merkel gestern Abend einige Skeptiker auf ihre Seite gezogen haben. Zwar baut sie immer noch kleine Wortgebirge vor sich auf in denen sie sich meist verläuft, und man hofft, daß ihre Gedanken geradliniger sind als ihre Syntax, aber vielleicht ist es gerade das, was sie authentisch und ein Stück glaubwürdig macht. Man nimmt ihr ab, daß sie überzeugte Europäerin ist und dieser Institution keinen Schaden zufügen möchte. Ob das aber für das Fortbestehen der Koalition reichen wird? Die nächsten Wochen und Monate bleiben jedenfalls spannend.
rh2011-09-003