Griechenlands Agonie im Euro setzt sich fort. Dabei hätte bei der letzten Parlamentswahl im Juni 2012 alles so gut laufen können für die Griechen und den Euro sowieso. Statt dessen wählten die Hellenen mehrheitlich so, wie es sich die EU-Politiker der Euro-Staaten – ebenso mehrheitlich – wünschten, nämlich konservativ. Damit haben sich die Griechen eindeutig für den Euro und den Verbleib ihres Staates in der Eurozone entschieden. Zwar wollte das Bündnis der radikalen Linken, Syriza, auch keine Abkehr vom Euro herbeiführen, aber sie drohten bereits im Wahlkampf mit der Erfordernis für weitreichende Vertragsanpassungen in Richtung weiterer Geldleistungen und erweiterter Zeitebenen für die anstehenden Konjunktur- und Strukturmaßnahmen. Die Chance auf einen Grexit, also den vorzeitigen Austritt Griechenlands aus der Eurozone und die Rückkehr zur Drachme, wäre unter dem linksradikalen Bündnis erheblich größer ausgefallen als mit der Nea Dimokratia und der sozialistischen Pasok im Schlepptau.
Dabei ist die griechische politische Situation jetzt uneinheitlich. Bei einer Wahlbeteiligung von nur knapp über sechzig Prozent liegen die konservative ND (29,7 %) und die radikale Syriza (26,9 %) nur knapp auseinander. Oder einfacher ausgedrückt: Ein Drittel Nichtwähler haben bei dieser wichtigen politischen Entscheidung für ihr Land resigniert oder fühlen sich machtlos, ein weiteres Drittel wollen dem vorgegebenen, strikten EU-Reformkurs folgen und ein letztes Drittel möchte den Aufstand gegen die EU und den Euro proben. Ein eindeutiges pro-europäisches Votum sieht anders aus. Die Voraussetzungen für große Reformen könnten nicht schlechter sein.
Die konservativ-sozialistische Regierungsbildung wurde von führenden Vertretern der Bundesrepublik aber auch von der EU »mit Erleichterung« aufgenommen, so, als hätte sich nach dieser Wahl an der Situation Griechenlands irgend etwas verändert. Dabei ist genau das Gegenteil der Fall. Die Griechen werden gegenüber der EU neue Forderungen stellen. Sie werden sagen: »Wir, die Griechen, haben nach eurem Willen gewählt, jetzt erwarten wir deutliches Entgegenkommen und Nachsicht von euch.« Und sie werden diese Milde erfahren. Die gleiche Milde, die der Klassenlehrer dem Klassenschwächsten entgegenbringt, der sich zwar zu spät aber ehrlich anstrengt.
Die Reaktionen ließen dann auch nicht lange auf sich warten. FDP Brüderle und Westerwelle signalisierten den Reformdruck auf Griechenland lockern zu wollen. Dagegen sahen Merkel und Rösler überhaupt keinen Anlaß für ein Entgegenkommen. Abstriche an den geplanten Reformschritten seien für sie ebenso ausgeschlossen wie Rabatte. Auch die ersten Reaktionen der europäischen Politiker war uneinheitlich. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz und Euro-Gruppen-Chef Jean-Claude Juncker sprachen sich für eine zeitliche Streckung der Reformen aus. Die Europäische Kommission hingegen lehnte eine solche ab.
Tatsächlich hat Griechenland mit seiner letzten Parlamentswahl ein neues, vermutlich letztes Kapitel seiner Euro-Tragödie aufgeschlagen. Griechenland wird unter dem Euro keinen wirtschaftlichen Aufschwung erfahren. Zudem wirken die Strukturreformen kontraproduktiv und werden vom griechischen Volk unterschiedlich aufgenommen oder auch abgelehnt. Und über allem macht sich die EU, angeführt von der Bundesrepublik, mitschuldig an einer gigantischen Insolvenzverschleppung (Konkursverschleppung) durch Griechenland. Nach Berechnungen namhafter Wirtschaftswissenschaftler würde den deutschen Steuerzahler ein sofortiger Ausstieg Griechenlands aus dem Euro heute ca. 100 Mrd. EUR kosten. Jeder weitere Monat kostet zusätzlich. Zusatzkosten, verursacht durch das Wahlverhalten der Griechen und verstärkt durch EU-Politiker, die vermächtnisgleich und realitätsfern dem System Europa dienen.
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