Freizeit-Piraten

Sie machen Ernst, die Piraten. Nach der unglaublichen Personalfluktuation in den vergangenen Monaten – auch in exponierten Positionen – und der Wahl des neuen Bundesvorsitzenden ist eines klar: Die Piraten wollen keine Berufspolitiker. Dies scheint ihnen ein Dogma zu sein. Auch Herr Bernd Schlömer will seine Piratenpartei, dessen Bundesvorsitzender er seit April 2012 ist, wie ein Kommunalpolitiker nach 17 Uhr und am Wochenende führen. Bundespolitik als Freizeitbeschäftigung. Dabei bezeichnete sich Herr Schlömer in einem Zeit Online Interview vom 30. April 2012 als Koordinator und Controller der Piraten. Controller sind allerdings zumeist full-time employees, keinesfalls aber Hobbyisten.

Feierabendpiraten
Piraten mit Kurs in die Flaute
Es ist inzwischen allgemeiner Kenntnisstand, daß die Piraten das Berufspolitikertum und die gegenwärtige Parteiendemokratie ablehnen und den Weg zu einer Basisdemokratie suchen. Zwei Dinge haben sie aber scheinbar noch nicht verstanden. Zum einen werden sie sich zunächst in die bundesdeutsche Parteienstruktur einbinden lassen müssen um überhaupt politisches Gewicht und Möglichkeiten der Einflußnahme zu erlangen. Zum anderen muß die gesamte werbliche Kommunikation ihrer Ziele professionalisiert werden. Sowohl potentielle Wähler, aber auch politische Gegner, sollten deutungsfrei über die maßgeblichen politischen Absichten der Piratenpartei informiert werden. Dies ist ein kontinuierlicher Prozeß, der gleichermaßen nach außen und innen wirken muß.

Richtig gute Beispiele für schlechte Medienarbeit der Piraten konnte man in den letzten Monaten in den einschlägigen Polit-Talkshows (Jauch-Will-Illner und Co.) beobachten. Im Internet finden sich immer noch diverse Beispiele. Perfekt zeigte auch ein Spiegel-Interview zwischen Jan Delay (Künstler) und Christopher Lauer (Pirat) zum Thema Urheberrechtsnovelle die ganze Misere auf. Pirat Lauer konnte auf die Kritik des Künstlers Delay weder argumentativ noch inhaltlich angemessen reagieren. Er mußte im Ungenauen bleiben, fabulierte und erweckte damit genau den Eindruck eines typischen Berufspolitikers, den es zu vermeiden galt.

Die Piraten müssen sich besser, das heißt in diesem Fall medienwirksamer, verkaufen. Wenn sie schon mit so abstrakten Themen, wie Urheberrecht oder Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) die politische Bühne betreten, sollten sie diese bei öffentlichen Auftritten argumentativ schlüssig und verständlich vortragen können. Andernfalls wirkt es kontraproduktiv. Damit sind die Piraten aber offensichtlich überfordert.

Aufgabenteilung

  • Durch imperatives Mandat eingesetzte Abgeordnete setzen Beschlüsse der Basis um.
  • Die Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit vertritt die Partei in allen Belangen nach außen. Sie ist sozusagen das Gesicht der Piraten.
  • Die Basis, die aus Arbeitsgruppen und Fachausschüssen besteht, leistet die fachliche Arbeit und faßt die Beschlüsse.

Da Basispiraten scheinbar argwöhnisch, um das Wort Mißgunst zu vermeiden, darauf achten, daß sich kein Abgeordneter zu sehr öffentlich profiliert, könnten per imperativem Mandat entsandte Abgeordnete hier etwas ausgleichen. Richtige (bezahlte) Medienprofis müßten in der Öffentlichkeitsarbeit tätig sein. Sie benötigten zusätzlich Fachwissen und die Kenntnis darüber, was in den Arbeitsgruppen und Fachausschüssen aktuell läuft. Die Basis wäre dann der Ort an dem die Bürger die Inhalte der Politik in fachbezogenen Gruppen mitgestalten könnten.

Die Bundesbürger haben einen Anspruch darauf umfassend und verständlich über die Ziele und die Arbeitsweise der Piratenpartei informiert zu werden. Die Piratenpartei ihrerseits hat es schon am 20. Januar 2013 mit der Wahl zum 17. Niedersächsischen Landtag zu tun. Da die Piratenpartei keine zwei oder drei Prozent Partei mehr ist, sollte sie die aktuelle Situation für eine bessere Kommunikation und eine effektivere Arbeitsweise nutzen.
rh2012-06-004

Die Kosten der griechischen Parlamentswahl

Griechenlands Agonie im Euro setzt sich fort. Dabei hätte bei der letzten Parlamentswahl im Juni 2012 alles so gut laufen können für die Griechen und den Euro sowieso. Statt dessen wählten die Hellenen mehrheitlich so, wie es sich die EU-Politiker der Euro-Staaten – ebenso mehrheitlich – wünschten, nämlich konservativ. Damit haben sich die Griechen eindeutig für den Euro und den Verbleib ihres Staates in der Eurozone entschieden. Zwar wollte das Bündnis der radikalen Linken, Syriza, auch keine Abkehr vom Euro herbeiführen, aber sie drohten bereits im Wahlkampf mit der Erfordernis für weitreichende Vertragsanpassungen in Richtung weiterer Geldleistungen und erweiterter Zeitebenen für die anstehenden Konjunktur- und Strukturmaßnahmen. Die Chance auf einen Grexit, also den vorzeitigen Austritt Griechenlands aus der Eurozone und die Rückkehr zur Drachme, wäre unter dem linksradikalen Bündnis erheblich größer ausgefallen als mit der Nea Dimokratia und der sozialistischen Pasok im Schlepptau.

Die griechische Tragödie
Griechenlands Euro-Agonie geht in die nächste Runde.
Dabei ist die griechische politische Situation jetzt uneinheitlich. Bei einer Wahlbeteiligung von nur knapp über sechzig Prozent liegen die konservative ND (29,7 %) und die radikale Syriza (26,9 %) nur knapp auseinander. Oder einfacher ausgedrückt: Ein Drittel Nichtwähler haben bei dieser wichtigen politischen Entscheidung für ihr Land resigniert oder fühlen sich machtlos, ein weiteres Drittel wollen dem vorgegebenen, strikten EU-Reformkurs folgen und ein letztes Drittel möchte den Aufstand gegen die EU und den Euro proben. Ein eindeutiges pro-europäisches Votum sieht anders aus. Die Voraussetzungen für große Reformen könnten nicht schlechter sein.

Die konservativ-sozialistische Regierungsbildung wurde von führenden Vertretern der Bundesrepublik aber auch von der EU »mit Erleichterung« aufgenommen, so, als hätte sich nach dieser Wahl an der Situation Griechenlands irgend etwas verändert. Dabei ist genau das Gegenteil der Fall. Die Griechen werden gegenüber der EU neue Forderungen stellen. Sie werden sagen: »Wir, die Griechen, haben nach eurem Willen gewählt, jetzt erwarten wir deutliches Entgegenkommen und Nachsicht von euch.« Und sie werden diese Milde erfahren. Die gleiche Milde, die der Klassenlehrer dem Klassenschwächsten entgegenbringt, der sich zwar zu spät aber ehrlich anstrengt.

Die Reaktionen ließen dann auch nicht lange auf sich warten. FDP Brüderle und Westerwelle signalisierten den Reformdruck auf Griechenland lockern zu wollen. Dagegen sahen Merkel und Rösler überhaupt keinen Anlaß für ein Entgegenkommen. Abstriche an den geplanten Reformschritten seien für sie ebenso ausgeschlossen wie Rabatte. Auch die ersten Reaktionen der europäischen Politiker war uneinheitlich. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz und Euro-Gruppen-Chef Jean-Claude Juncker sprachen sich für eine zeitliche Streckung der Reformen aus. Die Europäische Kommission hingegen lehnte eine solche ab.

Tatsächlich hat Griechenland mit seiner letzten Parlamentswahl ein neues, vermutlich letztes Kapitel seiner Euro-Tragödie aufgeschlagen. Griechenland wird unter dem Euro keinen wirtschaftlichen Aufschwung erfahren. Zudem wirken die Strukturreformen kontraproduktiv und werden vom griechischen Volk unterschiedlich aufgenommen oder auch abgelehnt. Und über allem macht sich die EU, angeführt von der Bundesrepublik, mitschuldig an einer gigantischen Insolvenzverschleppung (Konkursverschleppung) durch Griechenland. Nach Berechnungen namhafter Wirtschaftswissenschaftler würde den deutschen Steuerzahler ein sofortiger Ausstieg Griechenlands aus dem Euro heute ca. 100 Mrd. EUR kosten. Jeder weitere Monat kostet zusätzlich. Zusatzkosten, verursacht durch das Wahlverhalten der Griechen und verstärkt durch EU-Politiker, die vermächtnisgleich und realitätsfern dem System Europa dienen.
rh2012-06-002

Jauch tritt nach

Der öffentlich rechtliche Bezahlsender ARD hat offensichtlich nicht viel Glück in der Besetzung des Sendetermins Sonntag abend um 21:45 Uhr direkt nach dem Tatort. Nach Anne Will hat ihn seit September 2011 Günther Jauch inne, der zuvor schon 2007 ein diesbezügliches ARD Angebot abgelehnt hatte.

Wäre es nur dabei geblieben. Herr Jauch ist nun mal kein Polittalker und auch kein investigativer Journalist mit herausragenden Rhetorikfähigkeiten. Er hat eine Spezialdisziplin. Das sind Einzelgespräche mit Menschen, die von absonderlichen Schicksalen gezeichnet sind oder wahlweise Interviews mit deren Haustieren. Diese Fähigkeit konnte er auf RTL ausleben und hat damit auch niemanden gestört.

Stattdessen langweilt er die Nation sonntags abends. Wenn er hin und wieder Politiker oder Wirtschaftsgrößen zu Gast hat, hält er sich voller Anspannung an seinen bunten Fragekärtchen fest, so als säße er ganz aufgeregt in der ersten Unterrichtsstunde eines Origamikurses. In den langen Phasen des Zuhörens legt er dann seine Stirn nahe der Nasenwurzel in senkrechte Falten. Dies signalisiert dem Betrachter zwar messerscharfe Aufmerksamkeit, ist aber meist nur Ausdruck seiner Hilflosigkeit, wie fehlgeleitete Anschlußfragen häufig belegen.

Vergangene Woche hatte Herr Jauch anläßlich der Landtagswahl in Schleswig-Holstein unter anderem Renate Künast von den Grünen und Johannes Ponader von den Piraten zu Gast. Herr Ponader erhielt während der Sendung regelmäßig Twitter-Nachrichten auf seinem Smartphone. Die ganze Gesprächsführung dümpelte dahin und nicht einmal die bunten Kärtchen schienen Herrn Jauch Hilfestellung bieten zu können. Etwa zur Halbzeit explodierte dann Frau Künast unter dem Beifall der anderen Gäste. Sie fragte nach dem Sinn des inhaltleeren Geplauders über Piraten und bat um Zuwendung zu ernsthaften Sachthemen. Herr Jauch war sichtlich getroffen, fing sich aber relativ schnell.

Gegen Ende der gestrigen Sendung, Anlaß war hier die Landtagswahl in NRW, erwähnte Herr Jauch, ohne besonderen thematischen Bezug, den Vorfall mit Frau Künast in der Vorwoche. Jetzt wurde es aber so dargestellt, als hätte sich Frau Künast über das fortwährende twittern des Piraten aufgeregt, verbunden mit dem Hinweis, sie, Künast, könne auch über elektronische Medien kommunizieren. Um es an dieser Stelle abzukürzen: Die Redaktion hat herausgefunden, daß Frau Künast, entgegen ihrer Aussage, mit den neuen Medien noch nicht perfekt umgehen kann. Daraufhin rügte Herr Trittin seine Parteikollegin.

Herr Jauch wirkte gestern wie einer dieser Lehrer, der sich am Schüler durch schlechte Notenvergabe rächen will, weil dieser zuvor öffentlich Kritik am Unterricht geübt hat. Ist das der Journalismus, den man in ARD oder ZDF zukünftig erwarten darf?
rh2012-05-001

Gauck sagt Ukraine ab

Gaucks Kritiker mußten nicht lange auf eine Bestätigung ihrer Befürchtungen warten. Bei seinem ersten Auslandsbesuch als Bundespräsident durfte Herr Gauck in Polen erneut sein Demokratie-Freiheit-Feuerwerk abbrennen, was ihm – den übermittelten Bildern zufolge – sichtlich Vergnügen bereitete und dort wohl auch auf fruchtbaren Boden fiel. Später in Brüssel dann machte er sich – bar jeglicher Ökonomischer Vorbildung – stark für den Euro und Europa. Herrn Barroso gefiel das wohl ebenso.

Nun hat Herr Gauck, nach eigenem Bekunden ein Menschenrechtler der ersten Stunde, die Ukraine für sich entdeckt. Er hat dort Menschenrechtsverletzungen, insbesondere gegenüber der Oppositionsführerin Timoschenko, deren Rolle im übrigen völlig unklar ist, festgestellt. Das hätte er auch schon vor einer Woche, einem Monat oder einem Jahr tun können, aber er tat es aus unbekannten Gründen erst jetzt, wenige Wochen vor der Fußball-EM. Seine Konsequenz: Er sagte aus Protest seine Teilnahme an einem politischen Treffen europäischer Präsidenten, die Mitte Mai in Jalta stattfinden soll, ab.

Es war bei deutschen Politikern und Menschenrechtlern bisher nicht unüblich ein Regime bereits vor Reiseantritt öffentlich zu kritisieren und nach Ankunft im betreffenden Gastland diese Kritik gegenüber der Regierung zu wiederholen. Der Bundespräsident spart sich den zweiten Schritt und sendet damit diese Botschaft aus:

  • Gauck wählt den bequemen Weg und vergibt Chancen. Er scheut offensichtlich die direkte Auseinandersetzung mit dem Präsidenten Janukowitsch und sucht auch nicht – medienwirksam – das persönliche Gespräch mit Frau Timoschenko.
  • Gaucks Ukraine-Boykott war wohl nicht mit seinen Amtskollegen abgesprochen. Er hat sich mit seiner Absage auf eine höhere moralische Stufe begeben, auf der er jetzt über all denen steht, die der Einladung der ukrainischen Regierung Mitte Mai folgen werden. Seinen europäischen Kollegen wird wahrscheinlich weder sein Alleingang noch der durch ihn erzeugte Zwang gefallen.
  • Die deutschen Fußballspieler werden in ein Thema hineingezogen, das nicht zwangsläufig ihr Thema ist. Sie wollen vermutlich unbelastet in die Europameisterschaft einsteigen, spielen und gewinnen. Aber sie wollen sicher nicht als diejenigen dastehen, die aus moralischen Gründen besser nicht angetreten wären.
  • Gauck legt sich auf Frau Timoschenko und ihr Schicksal fest. Sollte die internationale Kritik an der Ukraine jedoch berechtigt sein, so müßte es hunderte oder gar tausende Timoschenkos geben. Wer setzt sich für sie ein?

Ein deutscher Bundespräsident sollte versöhnen statt spalten. Dies kann nur durch Gespräche geschehen, denen Gauck sich aber geradezu entzieht. Auf keinen Fall darf sich die Bundesregierung als Blaupause für eine lupenreine Demokratie in Europa verstehen, die sie letztendlich ohnehin nicht mehr ist. Es reicht schon, wenn die Bundesregierung glaubt innerhalb der EU und des Euro-Raums den Ton angeben zu müssen. Vielleicht ist Gauck nur ein Präsident für schönes Wetter und ebensolche Reden. Ein direktes Konfliktgespräch mit der ukrainischen Regierung scheut er, und ihm fehlt die strategische Klugheit sich zuvor mit seinen Amtskollegen zu verbünden um die Wirkung zu vervielfachen. Die kommenden Tage und Wochen bis zur Fußball-EM bleiben spannend.
rh2012-04-003