Die Verantwortung der Piraten

Ein deutscher Hersteller von Heimtextilien bewarb seine Fensterdekorationen mit dem Zusatz: Die mit der Goldkante. Damit wollte er sich vom Wettbewerb absetzen und unterscheidbar machen. Die Piratenpartei hat derzeit auch so einen ergänzenden Zusatz, der ihr allerdings von der politischen Konkurrenz verliehen wurde und sie ins Abseits stellen soll: Die Piratenpartei, die das geistige Eigentum abschaffen will. Varianten davon zielen auf das Urheberrecht, treffen aber immer den gleichen Kern. Die Piraten werden sich noch lange mit dieser Deplazierung beschäftigen müssen. Sie ist einfach, griffig aber eben auch falsch. Erst heute, Mitte April 2012, hat die Piratenpartei mit vielen hundert Textzeilen versucht ihre Position zur Urheberrechtsdebatte ausführlich zu erläutern. Man muß schon eine gewisse Nähe zum Thema haben um dem Wunsch nachzugeben das alles lesen zu wollen. Die politischen Gegner werden dies sicher nicht tun.

Überhaupt zeigt die Piratenpartei – untypisch für Freibeuter – ständig die größtmögliche Angriffsfläche. Mit dem bedingungslosen Grundeinkommen (BGE) werden sie dem kommunistischen Lager zugeordnet. Der ticketlose Nahverkehr, der von den Parteigegnern gerne als kostenloser Nahverkehr verunglimpft wird, rückt sie in den Bereich der Spinner, die sämtliche Finanzetats ruinieren wollen. In TV-Politshows treten sie mit Partei- oder Fraktionschefs auf, denen man Führungskompetenz absprechen möchte, die ihre Ziele nicht allgemeinverständlich darstellen können oder die irgendwie verhaltensauffällig sind. Außerdem beziehen die Piraten Stellung zu gesellschaftlichen Randthemen, die sie in Zeiten des Wahlkampfs keinen Schritt nach vorne bringt. Dagegen lassen sie politisch berechtigte Anfeindungen, zum Beispiel die vermeintliche oder auch tatsächliche Akzeptanz rechter Gesinnung, hilflos erscheinen.

Trotz des Chaos und der Unfertigkeit der Piratenpartei werden sie in wenigen Wochen insgesamt in vier Länderparlamenten vertreten sein. Dabei ist die Partei selbst ein Widerspruch in sich, der sich noch rächen könnte. Sie betrat als Spartenpartei (irgendwas mit Internet und so) die politische Bühne und will die Parteiendemokratie zugunsten einer echten Basisdemokratie überwinden. Um dieses Ziel erreichen zu können, muß sie sich jedoch genau des Vehikels Partei bedienen und wird zudem noch in die Rolle eines politischen Full-Liners gedrängt. Eine Rolle, die selbst die Grünen bis heute immer noch nicht erfüllen. Die piratische Basis lehnt allerdings Berufspolitiker ab und fordert zudem an jeder Entscheidung beteiligt zu werden. Außerdem muß alles jederzeit im Internet veröffentlicht werden. Es bleibt abzuwarten, wie die Piraten dieses Dilemma auflösen oder wann sie darunter kollabieren werden; fortwährender Streit ist jedenfalls vorprogrammiert. Dennoch ist der Zulauf an Mitgliedern, Wählern und Sympathisanten ungebrochen. Die Piratenpartei bietet ihnen allen einen praktisch barrierefreien Zugang zur Demokratie und Mitbestimmung. Vor dem Hintergrund eines spürbaren Demokratieverlusts, verursacht durch die etablierten Parteien in den vergangenen Jahren, entfaltet das nun eine starke Sogwirkung.

Die Parteien reagieren unterschiedlich auf die Piratenpartei. Gemeinsam überziehen sie die Piraten mit Spott und Häme und höchstens einzelne Politiker wirken nachdenklich aufgrund des Erfolgs, den die Piraten für sich verbuchen können. Herr Christian Lindner (33), FDP, nimmt nach eigenen Aussagen die Wähler der Piratenpartei ernst, nicht aber die Piraten selbst. Diese feinsinnige Differenzierung erschließt sich dem Zuhörer nicht sofort. Überhaupt kommt dieser Mitdreißiger politisch ideologisch betrachtet aus dem frühen Präteritum der FDP, also der Zeit weit vor Scheel, Genscher und Co. So hält er die Piraten für die Linkspartei mit Internetanschluß. Damit zeigt er, daß er es als Berufspolitiker nicht für nötig hält sich mit dem politischen Umfeld, in dem er sich täglich bewegt, zu beschäftigen. Ein Blick in die aktuellen Wahlprogramme der Piraten für SH und NW hätte ihn zu einem anderen Ergebnis geführt.

Piratenschiff
Freibeuter im Club-Mate Rausch
Ein anderer, wortgewaltiger Provinzpolitiker, der wie Herr Lindner derzeit im Wahlkampf steht, ist der FDP-Spitzenkandidat in SH, Wolfgang Kubicki. In der FDP ist er eher Provokateur denn Gestalter. In einem Report München-Interview sagte er:

»Na ja, ich frage mich schon, wie Menschen dazu kommen, eine Partei zu wählen mit einem Namen, die wir andererseits am Horn von Afrika mit Waffengewalt bekämpfen. Man kann das spaßig finden, ich finde das nicht spaßig. Die nächste Gruppierung die sich neu bildet, heißt dann Terroristen – vielleicht.«

In solchen Aussagen tritt die völlige Hilflosigkeit der FDP zutage. Sie kämpft ums Überleben, in den Ländern und im kommenden Jahr auch auf Bundesebene. Die Piraten hingegen versprechen themenbezogenen Mehrheitsmeinungen Rechnung zu tragen. Das darf als ein Novum in der deutschen Politik betrachtet werden dem die etablierten Parteien gegenwärtig nichts entgegenzusetzen haben.

Noch einen Schritt weiter geht der SH Landeschef der SPD, Ralf Stegner. Er rät gleich von der Wahl kleinerer Parteien ab, da dies nur in eine große Koalition in SH münden würde. Das wirkt, als hätte der Wähler nur noch die Wahl zwischen Pest und Cholera. Positive Demokratiegestaltung sieht anders aus. Dennoch: Entspannter als die CDU sieht auf Bundesebene gegenwärtig niemand dem Treiben der Freibeuter zu. Tatsächlich sichert der Erfolg der Piraten das Fortbestehen der CDU und die Kanzlerschaft in einer großen Koalition mit einem deutlich kleineren Partner SPD über 2013 hinaus.

Ob die Piratenpartei eine Protestpartei ist und ihre Wähler Protestwähler sind ist vollkommen unerheblich. Wer kennt ihre wahren Motive? Ob die Piratenpartei regierungs- und koalitionsfähig ist wird sich jeweils nach den Wahlen zeigen. Sie wird sich einer gebotenen Pflicht jedenfalls nicht entziehen können. Fest steht hingegen: Sie tragen jetzt Verantwortung gegenüber ihren Mitgliedern, Wählern und Sympathisanten. Die kommenden Wochen und Monate bleiben spannend.
rh2012-04-002

Was sagt Gauck?

Das war fast absehbar. Erst eine völlig kopflose und überhastete Kandidatenwahl für das Amt des Bundespräsidenten, als hätte es gegolten in kürzester Zeit ein sinkendes Schiff zu evakuieren, und dann, da nun alle Passagiere in ihren kleinen Rettungsbooten in ruhiger See dahindümpeln und der Rauch verzogen ist, die Frage, ob man alles richtig gemacht hat. Die SPD und die Grünen haben ihren einzigen Kandidaten nach dem Motto nach der Wahl ist vor der Wahl gewählt. Die Linke agiert fast vergleichbar, aber mit umgekehrtem Vorzeichen: Was vor zwei Jahren falsch war kann jetzt nicht richtig sein. Beides gilt aber nur, wenn man alle äußeren Einflüsse unbeachtet ließe, Laborbedingungen sozusagen. Tatsächlich aber ist in den vergangenen zwei Jahren seit der letzten Bundespräsidentenwahl sehr viel passiert und Herr Gauck hat zu einigen Themen seine dezidierte Meinung geäußert. Dabei sind seine Äußerungen von der Öffentlichkeit durchaus wahrgenommen worden und fanden unterschiedlichen Anklang.

SPD und Grüne waren wohl über den nachträglichen Sieg ihres Traumkandidaten und der damit verbundenen Möglichkeit ihren politischen Gegner mit Häme zu überziehen scheinbar so geblendet, daß sie die vielen Äußerungen Gaucks und dessen Wirkung vollkommen ausgeblendet hatten. Ein führender Grünen-Politiker fabulierte die Tage in einer dieser Polit-Talk-Shows, daß Gaucks Äußerungen zu einem Zeitpunkt entstanden seien, an dem er nicht wußte, daß er doch noch Präsident werden würde. Herr Gauck ist mindestens seit 1989 in verschiedenen Ämtern eine öffentliche Person für Ost und West und somit wird er sehr wohl an seinen Äußerungen gemessen. Jetzt glauben die Parteien die Deutungshoheit über Gaucks Äußerungen zu haben. Sie versuchen dabei Gesagtes vor dem Hintergrund seiner Vergangenheit zu interpretieren und für die Öffentlichkeit so aufzubereiten, das doch noch Akzeptables dabei herauskommt. Herr Gauck ist allein verantwortlich für alles, was er sagt oder schreibt. Als zukünftiger Bundespräsident sollte er dabei für alle Menschen klar verständlich sein und keinen Platz für Interpretationen lassen.

Die Occupy-Wall-Street-Bewegung hat Gauck als »unsäglich albern« bezeichnet. Der nachgeschobene Erklärungsversuch, er habe dies vor dem Hintergrund eines verstaatlichten Bankenwesens der DDR gesagt, ist schwach. Mit einem Schlag hat Gauck weltweit tausende von meist jugendlichen Demonstranten beleidigt, die zum Teil bei bitterer Kälte Tag und Nacht in Zelten durchhielten und sich für ihre Überzeugung einsetzten.

Im Rahmen der Stuttgart-21-Proteste bezeichnete Gauck die Neigung der Deutschen zu Hysterie und Angst als »abscheulich«. Ein Verbrechen kann man abscheulich nennen oder man wendet sich mit Abscheu von einem Verbrecher ab. Aber das demokratische Recht der Bundesbürger, die letztendlich vor einem Milliardengrab warnen, mit diesem Adjektiv zu belegen, ist mehr als unfair.

Das Thilo-Sarrazin-Buch oder besser seinen Verfasser bezeichnete Gauck als »mutig«. Sarrazin hatte bereits als aktiver Politiker mit vielen undifferenzierten Äußerungen über Minderheiten regelmäßig Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Das Buch, entstanden in der sicheren Situation einer Altersalimentierung, ist nur die logische Folge seines bisherigen Handelns. Das hat mit Mut nichts mehr zu tun.

Gaucks lobende Worte zur Hartz-IV-Reform kommen ebenfalls unterschiedlich gut an. Er glaubt, daß Solidarität und Fürsorglichkeit faul machen kann. Das verunsichert die sozial schwächeren Gesellschaftsschichten. Sein Freiheitsbegriff ist geprägt von der Eigen-Verantwortung. Freiheit und Sicherheit schließen sich dagegen in seinem Gesellschaftsbild aus.

Den Begriff der Montagsdemonstrationen sieht Gauck einzig und allein belegt durch die Demonstrationen 1989 gegen das DDR-Regime. Die Benutzung dieses Begriffs zu anderen Zwecken, zum Beispiel für den Proteste gegen Sozialreformen, hält er für »töricht und geschichtsvergessen«. Das allerdings ist Politikfolklore in seiner reinsten Form. Die Menschen nutzen den Begriff heute wie eine Marke, was schon wieder einen Wert an sich darstellen könnte.

Auch zur Vorratsdatenspeicherung hat Gauck ein lockeres Verhältnis. Er sieht darin nicht den Beginn eines Spitzelstaates. Hier kommt offensichtlich wieder seine Ost-Biographie zum Vorschein, die es ihm als durchaus normal empfinden läßt, wenn sich der Staat bestimmter Überwachungsmethoden bedient.

Am Abend seiner Nominierung hatte er unter anderem dies gesagt:

Von all den Dingen […] ist mir am Wichtigsten, daß die Menschen in diesem Land wieder lernen, daß sie in einem guten Land leben, das sie lieben können. Weil es ihnen die wunderbaren Möglichkeiten gibt, in einem erfüllten Leben Freiheit zu etwas und für etwas zu leben. Und diese Haltung nennen wir Verantwortung.

Es sind Sätze wie diese, die zeigen, daß Gauck noch im Gestern oder sogar Vorgestern lebt. Selbst heute kann er sich noch schwindelig reden von seiner Freiheitserfahrung und möchte unbedingt andere daran teilhaben lassen. Die überwiegende Mehrzahl der Bundesbürger dürfte allerdings im Hier und Heute solide verankert sein und viele von ihnen brauchen keine Nachhilfe in Sachen Freiheit und Demokratie sondern konkrete Lösungen zur Bewältigung ihres täglichen Lebens. Verklärte Freiheitsromantiker wie Gauck finden dort keinen Platz mehr. Wenn der nächste Bundespräsident die Wende in das Realleben nicht schafft, wird er an einem Großteil des Volkes zunächst vorbeireden, um dann schließlich ignoriert zu werden. Für die jungen Erwachsenen gehört er ohnehin schon zur Opa-Generation. Sorry, Gauck. Not my President.
rh2012-02-004

Was sind Gaucks Ziele?

Über Herrn Joachim Gauck als zukünftigen Bundespräsidenten ist ja fast alles bekannt, da er nun zum zweiten mal antreten wird. Aber genau das wirft auch schon die erste Frage auf. Warum tritt jemand erneut für ein Amt an, bei dessen Wahl er knapp zwei Jahre zuvor nur zweiter Sieger war? Sagt das schon etwas über den Charakter eines Menschen aus und sind die Voraussetzungen, wie sie sich heute darstellen, andere als noch vor zwei Jahren?

Vor zwei Jahren kam, wie bei Bundespräsidentenwahlen üblich, natürlich kein demokratisches Wahlergebnis zustande. Die Wähler unterlagen Fraktionszwängen oder einer Parteiraison. Die zur Wahl stehenden konnten sich so ungefähr vorher ausrechnen, welche Chancen sie wohl haben würden. Dennoch wäre es interessant gewesen zu wissen, welches Ergebnis eine freiheitliche Wahl wohl zutage gefördert hätte. Herr Gauck jedenfalls war der heimliche Favorit der Deutschen. Dies senkt schon mal die moralische Barriere für einen zweiten Antritt. Zudem gibt es keinen wirklichen Konkurrenten mehr dem er unterliegen könnte. Außerdem ist seine Fallhöhe deutlich geringer geworden, denn er hat nun bereits zwei gescheiterte Präsidenten als Vorgänger. Also, warum nicht antreten, wo sollte das Risiko liegen?

Aber stimmt es denn, daß alle ihn wollen? Bei Umfragen in der deutschen Bevölkerung lagen die Ergebnisse zunächst bei knapp über 40 Prozent, später dann bei etwas über 50 Prozent Zustimmung. Warum zum Beispiel lehnt Frau Dr. Merkel den Kandidaten Gauck so nachdrücklich ab? Die kühle Taktiererin, die sie zweifelsfrei ist, die sich lieber nicht bewegt, als eine Bewegung in die falsche Richtung zu machen, läßt die Öffentlichkeit über die wahren Gründe ihrer Ablehnung im Unklaren. Eine Frau als Bundespräsident, Ost wie West, müßte sie ablehnen, da sie sich ausmalen kann, daß der bundesdeutsche Wähler zwei Frauen an der Spitze nicht tolerieren würde. Damit wäre auch ihre eigene Wiederwahl in 2013 gefährdet. Aber zwei Ostdeutsche aus evangelisch kirchlichem Umfeld stellten jedoch kein wirkliches Problem dar. Welche Schwierigkeiten also hat Frau Dr. Merkel mit Herrn Gauck?

Der neue Bundespräsident wird sein Amt ab Mitte März 2012 antreten in dem Bewußtsein, daß

  • SPD und Grüne mehrheitlich zu ihm stehen
  • die FDP ihn aus rein wahltaktischen Gründen vorgeschlagen hat
  • die Union letztendlich nur zugestimmt hat um die Koalition zu retten
  • die Linke ihn praktisch komplett ablehnt

Nach richtigen Freunden, die ihm in schwierigen Zeiten Rückhalt bieten können, sieht das also nicht aus und Zuspruch von Seiten der Kanzlerin wird er kaum erwarten können. Wie hat der Bundesbürger das Nominierungsverfahren erlebt? Es war völlig überhastet, phantasielos, stellte überwiegend farblose Kandidaten zur Diskussion und gab gute Einblicke in das heillos zerstrittene Parteiengeflecht, das dieses Land regiert. Es gibt zweifelsfrei Situationen, in denen es besser wäre Gesetze und Vorschriften auszulegen statt sie strikt zu befolgen. Denn, wer hätte wen verklagt, wenn der neue Bundespräsident nicht fristgerecht bis zum 18. März 2012 hätte eingesetzt werden können. Etwas weniger Aktionismus und mehr Bürgerbeteiligung und Diskussion wäre hier durchaus angebracht gewesen.

Nach seinen zukünftigen Zielen befragt antwortet Herr Gauck öffentlich meist etwas enigmatisch, daß er sich für Freiheit und Demokratie einsetzen und den Bürgern näher bringen will, ohne die näher zu erläutern. Es scheint dann so, als hätte er seine Vergangenheit, vielleicht sogar Teile seiner eigenen Erziehung, zu seinem Beruf gemacht. Wenn also der Einsatz für die Demokratie seine Hauptmission werden sollte, dann müßte er sehr aufpassen, daß er nicht 60 Millionen Westdeutsche, die hier keinerlei Defizite aufweisen, dauerhaft unterfordert. Dies könnte dann schnell in Langeweile und schließlich in Desinteresse umschlagen. Daher wäre er gut beraten sich auf ein zweites Thema, vielleicht sogar als das höherrangige, vorzubereiten: Zum Beispiel die Gerechtigkeit. Ein dankbares Thema mit hohem Aufarbeitungspotential in allen Bereichen des gesellschaftlichen Zusammenlebens, das alle Bevölkerungsschichten gleichermaßen anspricht.
rh2012-02-002

Erst Sauerland, dann Wulff

Es ist noch nicht so lange her, da verweigerte der Bundespräsident Christian Wulff dem Duisburger Oberbürgermeister Adolf Sauerland anläßlich einer Konzertveranstaltung im Duisburger Landschaftspark das gemeinsame Gruppenfoto und ließ den OB sprichwörtlich im Regen stehen. Mehr noch, Wulff forderte Sauerland zwar indirekt aber öffentlich zum Rücktritt auf indem er von der Verpflichtung zur Übernahme der politischen Verantwortung sprach. Dies alles geschah vor dem Hintergrund der schrecklichen Ereignisse der Love Parade Katastrophe im Juli 2010. Sauerland ließ sich davon scheinbar nicht wirklich beeindrucken. Er klebte an seinem Sessel, wie Wulff etwas später auch.

In Duisburg ist seitdem nicht nichts passiert. Im Gegenteil, die Bevölkerung Duisburgs war sogar sehr aktiv. Sie nutzte sehr intelligent und mit unglaublicher Beharrlichkeit alle demokratischen Mittel aus, die schließlich zur Abwahl ihres OBs Sauerland führten. Der Stachel, den die Duisburger offensichtlich verspürt haben, muß sehr tief gesessen und geschmerzt haben. Sonst wäre die Freisetzung demokratischer Energie in dieser Form wohl nicht zu erklären. Sie haben damit Großes erreicht und es muß eine unermeßliche Genugtuung sein sowohl für die Duisburger aber vor allem auch für die überlebenden Opfer und die Angehörigen aller Verstorbenen. Sollte es eine Auszeichnung für vorbildliches Demokratieverhalten geben, so wäre die Duisburger Bevölkerung der erste Kandidat hierfür.

Bei dem Bundespräsidenten Wulff waren es die Medien, die ihn fast zeitgleich zum Duisburger OB zu Fall brachten. Medien, die ihre Rolle in einer funktionierenden Demokratie ebenfalls vorbildlich wahrgenommen haben. Einige sprechen von einer Medienhetze. Tatsächlich haben sie nur die Vorlagen genutzt, die ihnen geliefert wurden. Und der Bundespräsident Wulff hat fast ausschließlich nur Steilvorlagen geliefert. Ihnen, den Medien, gebührt also neben den Duisburgern ebenso eine Auszeichnung für vorbildliche und erfolgreiche Demokratiearbeit.

Menschen wie Sauerland und Wulff, die wichtige Ämter bekleiden, aber dann sowohl sachlich als auch persönlich so versagen, bis sie nur noch Abscheu auslösen, wird es immer geben. Eine funktionierende Demokratie kann solche Funktionsträger jedoch erfolgreich in ihre Schranken verweisen. Zwei eindrucksvolle Beweise konnten binnen Wochenfrist hierfür geliefert werden. Ob die handelnden Politiker auf allen Ebenen daraus lernen werden? Wahrscheinlich nicht, denn Geschichte wiederholt sich. Der Duisburger OB soll für seine Stadt jedenfalls einige wirtschaftlich erfolgreiche Projekte angestoßen haben. Aber was hinterläßt der nun zurückgetretene Bundespräsident außer der Karikatur eines raffgierigen Vorteilnehmers? Den Satz, der Islam gehöre zu Deutschland, hat er nie mit Inhalt füllen können und so landet er wie so vieles auf dem großen Haufen leerer Worthülsen.
rh2012-02-001