Wer hätte das gedacht. Frau Aigner, ihres Zeichens Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, traut sich was. Nach ihrem eher schwachen Verhalten während der letzten Futter- und Lebensmittelskandale überrascht sie nun mit der Einrichtung eines neuen Internetportals, das dem Verbraucherschutz dienen und die Verbraucherrechte stärken soll. Unter dem etwas sperrigen Namen lebensmittelklarheit.de, öffnete das Portal am 20. Juli 2011 erstmals seine Pforten. Die Ministerin, der von Gegnern ihre Nähe zur Industrie vorgeworfen wird, stellt sich mit diesem Projekt eindeutig auf die Seite der Verbraucher, auch wenn die Verantwortung bei den Verbraucherzentralen liegt und das Ministerium mit knapp 800 TEUR nur als Finanzier auftritt.
Der Web-Auftritt selbst strahlt eine gewisse Betulichkeit aus und erzeugt eine Mit-Zamek-fängt-die-Mahlzeit-an Gewinnspielatmosphäre. Er scheint kein Ort dynamischer Interaktion zu sein an dem Verbraucher ihre Erfahrungen bekanntgeben und austauschen können. Dennoch geht dieser erste Schritt mit Sicherheit in die richtige Richtung. Verbraucher können Produkte, bei denen sie sich getäuscht fühlen, melden und öffentlich machen. Die öffentliche Aufmerksamkeit war bereits vor Eröffnung des Internet-Portals überaus groß und der Zusammenbruch der Sever am Eröffnungstag, von Kritikern mit Häme bedacht, könnte auch positiv als Zeichen überdurchschnittlichen Interesses verstanden werden. Dies wird die Zukunft zeigen.
Drei Punkte aber kann man aber bereits jetzt schon festmachen:
- Es ist erfreulich zu sehen, daß es noch Politiker gibt, die bereit, sind sich gegen starke Lobbygruppen zu stellen und damit vielleicht sogar den Unmut weiter Kreise innerhalb ihrer eigenen Partei auf sich zu ziehen. Selbstverständlich ist dieses Verhalten – klare Position zu beziehen – heute jedenfalls nicht mehr.
- Einen wichtigen Beitrag haben die Lebensmittelindustrie und ihre Bundesvereinigung (BVE) mit ihrer knallharten Kritik und Klageandrohung selbst geliefert. Gemeinsam haben sie dem Verbraucher zu verstehen gegeben, wie sie sich innerhalb der Gesellschaft positionieren. Demnach geht es ihnen vordergründig nicht um Wahrheit und Klarheit, das Wohl des Verbrauchers, und die öffentliche Benennung schwarzer Schafe in den eigenen Reihen, sondern um die Wahrung unternehmerischer Stabilität. Vertrauensbildend ist so ein Verhalten nicht.
- Der Verbraucher hat jetzt schon gewonnen. Er muß seine Kritik zukünftig nicht mehr in den eher dunkleren Ecken des Internets verbreiten, sondern kann dies nun mit staatlicher Erlaubnis und der Benennung von Roß und Reiter an prominenter und qualifizierter Stelle tun. Da die Nachhaltigkeit der dort platzierten Mißstände groß ist (das Internet vergißt nichts), darf erwartet werden, daß die Industrie in berechtigten Fällen im Sinne des Verbrauchers reagiert.
Kritik an dem Projekt gab es aber auch aus den politischen Reihen. Die FDP, zu deren Klientel nicht nur Hoteliers gehören, äußerte diffuse Kritik an der angstfördernden Wirkung des Portals auf Verbraucher. Und selbst die Grünen, Frau Höhn, maßregelte Frau Aigner, die ihre Verantwortung zur Kontrolle nicht auf die Verbraucher schieben dürfe. Diese Kritik enttäuscht in zweierlei Hinsicht: Sie stellt die Grünen wieder einmal als ideenlose Berufsnörgler hin, und läßt die Unterstützung auf einem Sachgebiet vermissen, das eigentlich auch von den Grünen besetzt sein sollte. In ihrer Kritik übersieht Frau Höhn, daß der Hebel von Millionen Verbrauchern, richtig angesetzt, eine ungleich größere Kraft entfalten kann, als ein Ministerium dies jemals leisten könnte.
Verbrauchern und Portalbetreibern ist zu wünschen, daß sie dieses Portal verantwortlich nutzen, unbeeinflußt von Interessengruppen weiterentwickeln, und damit zu einem Zentrum für den Verbraucherschutz machen. Eine zentrale Anlaufstelle, die sich zukünftig auch auf weitere Produktgruppen und Dienstleistungen erstrecken wird. Und es wäre zu wünschen, daß sie ideologiefreie Unterstüzung von den Organisationen erhalten, die sich den Verbraucherschutz auf die Fahne geschrieben haben.
rh2011-07-005
Da war die Aufregung groß bei den Politikern des EU-Parlaments und der Euro-Staaten. Nach Portugal und Griechenland wertet die Ratingagentur Moody’s nun auch Irland nochmals herunter, genauer von Baa3 nach Ba1, und dies mit negativer Prognose. Am Beispiel von Irland hat der Moody’s Investor Service am 12. Juli 2011 eine sehr detaillierte Erklärung für diese Maßnahme veröffentlicht. Neben dem ausdrücklichen Lob für die bisherigen, erfolgreichen Anstrengungen Irlands zur Haushaltskonsolidierung, betrachtet Moody’s die anhaltend schwache Wirtschaftsleistung der Iren mit Sorge. Der Hauptantrieb für diese vorläufig letzte Ratingaktion, so heißt es weiter, liegt in der hohen Wahrscheinlichkeit, daß Irland auch nach dem Auslaufen des aktuellen EU/IWF Unterstützungsprogramms gegen Ende 2013 weitere Finanzierungsrunden der EU benötigt, bevor es sich selbst am Privatkundenmarkt wird bedienen können. Außerdem wird, gemäß der jüngsten EU-Vorschläge, die zunehmende Möglichkeit einer Gläubigerbeteiligung als Voraussetzung für weitere Finanzierungsrunden durch die EU, als überaus kritisch betrachtet. Eben diese Beteiligung des privaten Sektors am Schuldenerlaß stellt den key factor für Moody’s laufende Überprüfungen dar. Die negative Prognose wird zum Teil mit der Uneinigkeit der EU-Regierungen bezüglich der einzuleitenden Unterstützungsmaßnahmen für notleidende Mitglieder begründet.
Die FDP war bisher bekannt als die Partei der Besserverdienenden. Ihr Marketing vergangener Tage muß gut gewesen sein, denn das wirkt bis heute nach. Nun setzt sie sich plötzlich für das Wohl der Geringverdiener ein, indem sie Steuern und Abgaben senken will, und keiner versteht das. Man darf Herrn Dr. med. Rösler seine fehlende Wirtschaftskompetenz nicht vorwerfen – sieben Monate Wirtschaft in Niedersachsen zählen nicht allzuviel – aber es wäre wünschenswert, wenn er auf die Vielzahl seiner Kritiker hören würde. In Aufschwung- oder Hochphasen sollten Regierungen sparen oder Schulden tilgen und die Sozialkassen füllen. In Zeiten stetiger Neuverschuldung und großer Unwägbarkeiten (EU-Schuldenländer und Energiewende) wären Steuersenkungen geradezu fahrlässig. Noch vor wenigen Monaten, knickte er als Gesundheitsminister vor der Pharmaindustrie und den Krankenkassen ein und erhöhte er die Beiträge zur Krankenkasse besonders nachteilig für die Arbeitnehmerseite. Jetzt will er sie wieder senken. Es bleibt abzuwarten, welche Leistungen er dafür streichen wird. Ein Minister sollte Schaden vom Volk abwenden. Hier aber stellt ein Minister und Parteivorsitzender die Interessen seiner Partei über das Volksinteresse. Das perfide daran ist, daß er sich dabei des sakrosankten Themas Steuern- und Abgabensenkung bedient. Niemand kann in normalen Zeiten dagegen sein. Aber gerade die haben wir nicht und nicht jeder erkennt das. Der Steuerzahler soll der FDP in einem vorgezogenen Wahlkampf mit Steuermitteln aus dem Tief heraus helfen. Er soll später das kreditfinanzierte Wahlgeschenk mit Zins und Tilgung über höhere Steuern zurückbezahlen und er soll Leistungskürzungen, die mit den Abgabensenkungen einhergehen, aus eigener Tasche bezahlen. Es bleibt zu hoffen, daß am Ende der gesunde Menschenverstand siegen wird.
Dafür, daß das deutsche Steuerrecht das komplizierteste und intransparenteste der Welt sein soll, wurde zu dessen Vereinfachung bisher noch nicht allzuviel unternommen. Zwar erklären unsere Politiker schon seit Jahren, daß Anstrengungen zur Vereinfachung des Steuersystems erfolgen sollen, aber meist endete dies nur mit einem Dreh an der Steuerschraube und der Einführung weiterer Steuergesetze. Das Bedürfnis nach immer mehr Gesetzen beruht auf unserem besonderen Rechtsempfinden. Mehr noch als die Herstellung von Einzelgerechtigkeit wünscht man sich die Beseitigung von Einzelunrecht.