Unimog oder Tomahawk

Der gegenwärtige Verteidigungsminister versucht sich an einer Bundeswehr-Reform. Bereits sein Vorgänger probierte sich an ihr. Der hatte zwar kein Konzept, setzte aber schon mal die Wehrpflicht aus. Dieser Schritt muß sich nachträglich nicht als Fehlentscheidung herausstellen, steht aber normalerweise am Ende eines tragfähigen Konzepts als geplante Maßnahme oder eben auch nicht. Bei seinem vorzeitigen Ausscheiden betonte der vorletzte Chef der Streitkräfte ein geordnetes Haus (gemeint war hier wohl Bundeswehr und Verteidigungsministerium) übergeben zu können, so, wie es sich gehöre. Sein Nachfolger durfte dann schnell feststellen, daß sein Vorgänger offensichtlich keine genaue Vorstellung von konzeptioneller Arbeit hatte.

Ob Herr Dr. jur. Thomas de Maizière, der amtierende Verteidigungsminister, hiervon eine Vorstellung hat, darf zunächst angezweifelt werden. Nach den verfügbaren Daten ist er ein reiner Berufspolitiker mit rechtswissenschaftlicher Vorbildung, und als solcher könnte er ebensogut das Amt des Bürgermeisters von Bielefeld bekleiden. Da er zuvor noch nicht einmal Lehrer war, stellt sich die Frage, was ihn für die Umsetzung dieses derart komplexen Reformprojekts qualifiziert. Zur Erinnerung: Der Verteidigungshaushalt 2011 ist mit etwas über 30 Mrd. EUR der drittgrößte Haushaltsposten des Bundeshaushalts nach Arbeit & Soziales und Bundesschuld. Allein durch diesen Umstand muß die Öffentlichkeit zu ihrem Recht kommen. Das heißt die Konzeptphase verstehen und auch demokratisch begleiten dürfen.

Aber statt der Öffentlichkeit den Entwurf eines Gesamtkonzepts vorzustellen, in dem Aufgaben und Strukturen der Bundeswehr 2020, 2030 bis 2050, auch im europäischen Kontext, darzustellen, nennt der Verteidigungsminister nur einfach Zahlen. Völlig für sich isoliert kommen sie wie magic numbers daher, unerklärlich und rätselhaft. Die Gattungen sollen demnach unterschiedlich stark schrumpfen auf: Heer: 57 570, Luftwaffe: 22 550, Marine: 13 050 Soldaten, usw. Mit diesem Schrumpfungsprozeß einher geht die Schließung von Bundeswehrstandorten. Von ca. 400 Standorten sollen 30 geschlossen werden. Warum gerade 30, welche und warum diese wird bis heute Mittag ein Geheimnis bleiben. Dann verkündet der Verteidigungsminister, wie gegenüber Sextanern bei der ersten Zeugnisausgabe, wer sitzengeblieben ist und wer eine Runde weiterkommt. Wochenlang mußten Soldaten, ihre Familien, Bürgermeister, Landräte und Unternehmer bis dahin in Sorge ausharren. Eine Altherrenriege von Technokraten und Besitzstandswahrern wird der Öffentlichkeit dann wohl ein Stück Teilreform erläutern, das weder sach- noch konzeptorientiert, sondern einzig und allein budgetgetrieben sein wird.

Die Bürger haben deutlich mehr Transparenz verdient. Wer bezahlt will wissen, was die Bundeswehr in naher und ferner Zukunft leisten soll und welche Aufgaben sie haben wird. Braucht sie mehr Kampf- oder Transportflugzeuge, Kampf- oder Bergepanzer, Zerstörer oder Hospitalschiffe? Stellt sie Killerkommandos mit Auslandserfahrung zur Verfügung oder wird sie eine Mischung aus THW und Ärzte ohne Grenzen sein? Die bewußte Mißachtung der Öffentlichkeit und das emotionslose Hinweghandeln hätte in der Privatwirtschaft längst eine Streikwelle bei den Betroffenen ausgelöst. Der Minister der Verteidigung liefert ein sehr gutes Beispiel für die Politik von gestern. Demokratie 2.0 sieht anders aus.
rh2011-10-006

Bundestrojaner gibt Piraten Rückenwind

Treffender als mit dem Begriff Stasi 2.0 läßt sich der gegenwärtige Verfassungsbruch um den oder die Bundes-/Staats- oder Landestrojaner nicht bezeichnen. Die zunehmende und scheinbar völlig unverhohlene Stasifizierung Deutschlands ist erschreckend. Telefonüberwachungsmaßnahmen bei bloßem Verdacht auf Steuerhinterziehung oder Hehlerei werden bereits seit vielen Jahren nachweislich durchgeführt und sind von der Öffentlichkeit auch weitgehend akzeptiert. Die Steigerung davon, der sogenannte Große Lauschangriff, feiert in seinen verschiedenen Ausprägungen auch schon bald den fünfzehnten Geburtstag und die Eskalation stellt dann wohl gegenwärtig der Bundestrojaner dar.

Warum stasiartige Kontrollsucht gerade bei westdeutschen Politikern dankbar angenommen wird ist unklar. Unklar bleibt auch, warum ostdeutsche Politiker, die doch über hinreichende Erfahrung verfügen müßten, hier nicht stärker korrigierend eingreifen. Fest steht aber auch, daß es wieder einmal insbesondere die CSU Politiker sind, die sich einmal mehr als verfassungsrechtliche Problembären zeigen.

Die bayrische Landesregierung wurde – kurz zusammengefaßt – dabei ertappt, daß sie bereits seit vielen Monaten den Mitarbeiter eines pharmazeutischen Betriebs wegen des Verdachts auf illegalen Medikamentenhandel online überwacht. Zu diesem Zweck wurde vom (Bundes-) Zoll ein schlecht programmierter Trojaner auf dem Laptop des Verdächtigen installiert. Nur durch die Umsicht seines Anwalts und der Fachkompetenz des Chaos Computer Clubs (CCC) konnte der ganze Vorgang öffentlich gemacht werden. Während der Überwachungsphase sendete das Programm unbemerkt Internet-Telefongespräche und mehrere zehntausend Screen-Shots an einen amerikanischen Server, der vom bayrischen Landeskriminalamt angemietet worden war.

Die Reaktionen der CSU Verantwortlichen waren fast erwartungsgemäß. Der bayrische CSU Innenminister Joachim Herrmann, hält den Einsatz des Trojaners für absolut verfassungskonform. Durch falsche Behauptungen des CCC würden seiner Meinung nach Mißverständnisse geschürt. Der CSU Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich, ein Verfechter der Vorratsdatenspeicherung und Gegner der Anonymität im Internet, will für Aufklärung sorgen. Ein besonders schwerer Fall ist der CSU Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende der Arbeitsgruppe Innenpolitik Hans-Peter Uhl. Er gibt sich in Bezug auf Internetsperren und Vorratsdatenspeicherung gern obrigkeitsstaatlich. In seiner aktuellen Pressemitteilung hieß es:

»Wer dagegen wie die Bundesjustizministerin eine spezialgesetzliche Rechtsgrundlage für die Quellen-TKÜ verweigert und die Strafverfolgungsbehörden damit zum Rückgriff auf die allgemeine TKÜ-Rechtsvorschrift zwingt, darf nicht beklagen, dass Vorgaben nicht eingehalten würden, die es derzeit noch nicht gibt und für deren Schaffung die Justizministerin zuständig wäre. Eine Skandalisierung legitimer Maßnahmen dagegen hilft nicht weiter.«

Ob dieser Rechtsauffassung sollte Herr Uhl noch einmal tief in sich gehen. Das Bundesverfassungsgericht beschreibt in seinen Leitsätzen zum Urteil des Ersten Senats vom 27. Februar 2008 (1 BvR 370/07) ausführlich und eindeutig die Modalitäten zur Überwachung. Das Fehlen eines von Herrn Uhl erwarteten Spezialgesetzes interpretiert dieser als Einladung zum Bruch der Grundrechte. Er wähnt sich scheinbar in einem rechtsfreien Raum. Tatsächlich aber liegt ein eindeutiger Rechtsverstoß vor, sofern die vom CCC untersuchte Software wirklich zum Einsatz kam. Zum einen läßt sich der Mitarbeiter des Pharmaunternehmens mit Sicherheit nicht zur Zielgruppe für eine derartige Überwachungsmaßnahme zurechnen. Zum anderen leistet die vom bayrischen Landeskriminalamt eingesetzte Schadsoftware mehr als erlaubt ist und sie hat auch mehr geliefert. Die durch den CCC untersuchten Programme wiesen überdies erhebliche Mängel im Bereich Kryptographie und Authentifizierung auf, sodaß sich Dritte Zugang zu den Systemen hätten verschaffen können. Damit wäre aber nicht mehr eindeutig belegbar, von wem die auf dem Server abgelegten Daten stammen. Die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Systemintegrität wäre somit nicht gegeben.

Unabhängig von der Rechtsprechung und mit der Kenntnis, daß auch weitere Bundesländer diesen oder ähnliche Trojaner bereits eingesetzt haben, stellt sich die Frage, wieso scheinbar jeder Landesfürst nach eigenem Ermessen solche Überwachungen durchführen darf. Am Ende kostet es immer das Geld des Steuerzahlers. Die gesetzliche Grundlage ist so eindeutig, daß sich hieraus detaillierte Organisations- und Handlungsanweisungen ableiten lassen sollten. Ferner dürfte sich daraus ein Lastenheft erstellen lassen, das die genaue Funktionalität der zukünftigen Überwachungssoftware beschreibt und so Grundlage einer Ausschreibung sein kann. Am Ende gibt es dann genau einen zertifizierten Bundestrojaner, der immer in der aktuellsten Version und von autorisierter Stelle abgerufen werden kann.

Das Abstoßende an dem Vorfall Bundestrojaner ist nicht sein Einsatz. Der ist demokratisch entschieden und legitimiert. Das abstoßende Element findet sich in der Reaktion der verantwortlichen Politiker, die leugnen, die abstreiten, die sich im Recht wähnen, die nach und nach zugeben und die aus Unwissenheit nicht mehr trennen können zwischen technisch machbarem und gesetzlich erlaubtem. Viele Politiker haben ihr Gespür verloren, was der Wähler noch toleriert. Hier sind wieder einmal deutlich Grenzen überschritten worden. Man muß kein Hellseher sein, wenn man voraussagt, daß dieser Vorgang der Piratenpartei auf Bundesebene am Ende vermutlich zwei Prozentpunkte beschert haben wird. Zum Dank sollten die Piraten, sofern ihr Parteibudget das zuläßt, wöchentlich einen Blumenstrauß in die Bayerische Staatskanzlei schicken. Dort, im Foyer aufgestellt, würden die bayrischen CSU Politiker täglich an die Verfassungsmäßigkeit ihrer Arbeit erinnert werden.
rh2011-10-003

Banken-Vollkasko ohne Selbstbeteiligung

In den letzten Wochen war viel zu erfahren, wo sich die Demokratie in Deutschland – die ja auch zu einem Teil der europäischen Demokratie geworden ist, et vice versa – aktuell verorten läßt. Im Zusammenhang mit den erweiterten Euro-Rettungsmaßnahmen ließen insbesondere die Unionspolitiker keinen Zweifel daran, ihre gesteckten Ziele mit allen Mitteln durch zu wollen. Eine handvoll Politiker aus CDU und FDP, die sich aus Gewissensgründen gegen die Ausweitung des Euro-Rettungsschirms stellten, wurden als Abweichler, Abtrünnige oder noch schlimmer diffamiert. Jeder, der sich nicht dem Fraktionszwang beugte, war automatisch Euro- und damit Europagegner. Im Grunde genommen nicht ganz zurechnungsfähig. Zumindest sahen völlig hysterische Fraktionsmitglieder dies mehrheitlich so. Ganz anders hingegen die breite Öffentlichkeit. Über siebzig Prozent war diversen Umfragen zufolge gegen eine Ausweitung der Eurohilfen aber über achtzig Prozent der Abgeordneten stimmten letztendlich dafür. Vergleichbar mit der Situation der FDP: Sie hat zwar jeglichen Rückhalt bei den Wählern verloren (zwei bis drei Prozent je nach Umfrage), darf aber fleißig weiter regieren.

Einen dieser sogenannten Abweichler traf es bei der Bundestagsabstimmung besonders hart. Richtiger wäre, daß der Vorgang besonders publik wurde. Wolfgang Bosbach, ein Mensch, der sich nach eigenen Worten ausschließlich seinem Gewissen verpflichtet fühlt und an keiner Kamera vorbeikommt, ohne seine Meinung mitzuteilen, wurde aufs übelste von dem derzeitigen Kanzleramtsminister und Parteikollegen Ronald Pofalla beschimpft. Die Qualität Pofallas Tirade lag auf Sandkastenniveau der frühen Kindheit. Natürlich wurde in der Strauß-Wehner-Ära auch heftig gestritten, aber diese Politiker wirkten zumindest authentisch. Die gegenwärtige Regierung, die sich gerne mal als Gurkentruppe oder Wildsäue bezeichnet, ist in der Europafrage hingegen offensichtlich völlig überfordert. Ihnen fehlt zudem der Sachverstand, und wenn sie schon falsche Entscheidungen von bisher nicht dagewesener Tragweite treffen müssen, dann wollen sie dies zumindest einstimmig tun. Daß ihr Verhalten das Bürgervertrauen nachhaltig schädigt scheint ihnen gleichgültig zu sein.

Auch aus Amerika kommen die ersten Reaktionen. US-Präsident Obama ist zwar gerade im Begriff die gesamte US-Volkswirtschaft gegen die Wand zu fahren, da sucht er noch einen Mitschuldigen der Misere und ermahnt die Europäer ihre Finanzgeschäfte schleunigst neu zu ordnen. Währenddessen sich die Protestbewegung Occupy Wall Street, deren Zentrum im New York liegt, nun auf weitere Großstädte in den USA ausbreitet. Dort protestiert man gegen die ungleiche Verteilung des Wohlstands.

Der deutsche Vizekanzler und Wirtschaftsminister Rösler, tourt derweilen durch Griechenland. Das schlimme Wort Insolvenz nimmt er dort nicht mehr in den Mund. Er bedient sich jetzt der neuen Wortkreation Resolvenz. Das klingt wesentlich harmloser, fast so, als ob die Insolvenz bereits über das Land hinweggefegt sei und sich die Nation nun auf dem Weg der Besserung befinden würde. Es hat den Klang von Rekonvaleszenz, also dem Gesundungsprozeß, der auf die überwundene Erkrankung folgt und den griechischen Patienten zur alten Stärke zurückführen soll. Derweil erklärt die griechische Regierung, daß sie die gesamte griechische Bevölkerung geschlossen hinter sich weiß. Dennoch fliegen auf den Straßen Pflastersteine und es brennen Abfallcontainer.

Genau in dieses wirtschaftspolitische Gesamtklima ließ Frau Dr. Merkel die nächste Bombe platzen. Sie verspricht den Banken für den Notfall Finanzhilfen. Spontan drängen sich die Standardfragen auf: Welche Banken (Deutschland, Europa, Rest der Welt) sind betroffen? Um welchen Notfall handelt es sich und wann wird er eintreten? Mit wem wurde das abgestimmt? Mit wessen Geld werden diese Finanzhilfen ausgestattet? Gut, die letzte Frage ist überflüssig, da immer der deutsche Steuerzahler herhalten muß. Aber weiß das auch Frau Dr. Merkel? Oder anders gefragt: Wie lange kann Frau Dr. Merkel noch gegen die Mehrheit des Volkes anregieren?

Nach Lehman-Bank, HRE und Co. kam es 2008 zur Bankenrettung #1. Mit dem Euro-Rettungsschirm erlebt Europa jetzt eine indirekte Bankenrettung #2. Und nun soll es sozusagen zur Bankenrettung-Reloaded #3 kommen. Dabei wurde doch speziell für notleidende Banken der SoFFin (Finanzmarktstabilisierungsfonds) eingerichtet und vor wenigen Wochen wurden die Ergebnisse des sogenannten Banken-Streßtests veröffentlicht, die keinen Anlaß zur Sorge gaben. Offensichtlich haben die Banken ihr Erpressungspotential gefunden. Sie verhalten sich so, als würden sie einen Vollkaskoschutz auf Kosten der Steuerzahler genießen. Selbst die kleinste Bank scheint systemrelevant zu sein, aber knapp elf Millionen Griechen darf man öffentlich vorführen, maßregeln und mit Insolvenz drohen. Bei alldem kann man zwar ruhig und gelassen bleiben, zu empfehlen ist das aber nicht.
rh2011-10-002

Dazugelernt

Die ARD, Das Erste, zeigte gestern in der Sendung Günther Jauch die Bundeskanzlerin als Einzelgast bei Günther Jauch zu dem Thema »Der Kampf um den Euro«. Dabei gab sie eine Stunde lang Antworten auf Jauchs Fragen. Der Fragestil erinnerte dabei stark an das frühere RTL-Gesäusel des Moderators oder vielleicht auch Johannes B. Kerner (gibt es den eigentlich noch?). Vermutlich dürften die Deppendorfs, Schaustens und Co. während dieser Sendung ungeduldig auf ihren Sofas hin und her gerutscht sein. Kritisch oder gar investigativ war hier jedenfalls nichts. Aber vermutlich wäre Frau Dr. Merkel deren Einladung auch gar nicht gefolgt.

Andererseits waren die sechzig Minuten nicht ganz unnütz. So versicherte sie zum Beispiel glaubhaft, daß sie sich auch insbesondere bei Europa- und Eurofragen durch externe Experten beraten läßt, um dann am Ende ihre eigenen Entscheidungen zu treffen. Ebenso konnte man ihr abnehmen, daß sie wirklich zu Europa und dem Euro steht und zu dem, was sie sagt.

Vollkommen neu war hingegen ihre Erläuterung, warum, entgegen landläufiger Meinung, gerade nicht gegen die No-Bailout-Klausel verstoßen wurde. So sei der ganze Aktionismus mit Rettungsschirm (ESM) und EFSF nicht darauf gerichtet speziell Griechenland zu helfen – die müßten sich nach ihren Worten aus eigener Kraft aus ihrer Situation befreien – sondern diene ausschließlich der Stabilität des Euros und damit dem Schutz aller Eurostaaten. Und ihr vermeintlicher Sinneswandel – vor elf Monaten war sie noch ausdrücklich gegen einen Rettungsschirm – sei nur diesem Umstand geschuldet.

Es fragt sich, warum diese Erläuterungen erst jetzt und sehr spät kommen. Wenn man ihnen Glauben schenken mag, hätte sich die Öffentlichkeit in den letzten Monaten viel Aufregung und Empörung ersparen können. Jetzt ist ihre Wirkung nur noch schwach und viel Vertrauen wurde verspielt.

Und noch etwas konnte der geneigte Zuschauer dazulernen. Frau Dr. Merkel geht selbstverständlich nicht davon aus, daß es jemals zur Erfüllung der Bürgschaftsverbindlichkeit kommen wird. Sie glaubt also, daß der Hauptschuldner (Griechenland) alle bestehenden und zukünftigen Verbindlichkeiten gegenüber den Gläubigern vollständig und termingerecht bedienen können wird. Diese Einstellung ist jedoch fatal verharmlosend. Jeder Student der Wirtschaftswissenschaften lernt bereits im ersten Semester in einer der begleitenden Rechts-Vorlesungen, daß eine Bürgschaft nur dann übernommen werden darf, wenn der Bürge jederzeit über liquide Mittel in Höhe der Bürgschaftsverbindlichkeiten verfügt. Also die Erfüllung als Normalfall. Deutschland hingegen müßte hierzu selbst weitere Kredite aufnehmen.

Dennoch wird Frau Dr. Merkel gestern Abend einige Skeptiker auf ihre Seite gezogen haben. Zwar baut sie immer noch kleine Wortgebirge vor sich auf in denen sie sich meist verläuft, und man hofft, daß ihre Gedanken geradliniger sind als ihre Syntax, aber vielleicht ist es gerade das, was sie authentisch und ein Stück glaubwürdig macht. Man nimmt ihr ab, daß sie überzeugte Europäerin ist und dieser Institution keinen Schaden zufügen möchte. Ob das aber für das Fortbestehen der Koalition reichen wird? Die nächsten Wochen und Monate bleiben jedenfalls spannend.
rh2011-09-003