Minister Wolfgang Schäuble unter den Top Ten

Manchmal ist ein einzelner Satz aufschlußreicher als der gesamte Artikel, auch wenn die dabei gewonnene Erkenntnis in eine ganz andere Richtung geht. So konnte es gehen, wenn man zum Beispiel am 9. September 2012 in Spiegel Online den Artikel über Minister Schäuble und sein Verhältnis zu Ex-Bundeskanzler Kohl unter der Überschrift Streit über Euro-Krise – Schäuble nimmt Altkanzler Kohl in Schutz gelesen hat. Der Beitrag selbst, inhaltlich belanglos über das Verhältnis von Schäuble zu Kohl berichtend, endet mit diesem Satz:

»Gelassen sieht Schäuble, dass er weder Kanzler noch Bundespräsident wurde: ›Es gibt 80 Millionen Deutsche. Wenn Sie es unter die ersten zehn schaffen, ist das doch nicht schlecht.‹«

Leider erläutert der Bundesminister nicht, in welcher Kategorie er sich dort unter den ersten zehn sieht: Die Reichen, die Hitparade, die schnellsten Rollstuhlfahrer? Wohl eher nicht. Oder vielleicht die zehn beliebtesten Politiker nach Infratest dimap? Das ist zwar regelmäßig der Fall, dürfte aber für den Minister wohl kein wirkliches Prädikat sein. Bei denen, die das Wirken dieses Ministers die letzten zwei Dekaden verfolgt haben, drängt sich eine Vermutung auf. Schäubles Rangliste beginnt wahrscheinlich mit dem Bundespräsidenten und geht auf Platz zwei weiter mit dem Bundeskanzler oder –Kanzlerin. Er sieht sich wohl selbst an der Spitze einer politischen Elite, um das Wort Kaste nicht zu gebrauchen. Völlig abgehoben und entfremdet von dem Wahlvolk, dem Bundesbürger, der nur alle vier Jahre auf Bundesebene sein Wahlkreuz möglichst an der richtigen Stelle machen soll.

Wenn das so sein sollte, was hier als Annahme unterstellt wird, dann drängt sich die Frage auf, was Minister Schäuble bisher für sein Land, für 80 Millionen Bundesbürger Positives geleistet hat. Hat er beispielsweise seine Partei, die CDU, erkennbar nach vorne gebracht? Einiges spricht dagegen. Hat er als Innenminister die innere Sicherheit stabilisieren, den Nachrichtendienst und den Verfassungsschutz restrukturieren können? Im Gegenteil. Hat er als Finanzminister die Netto-Neuverschuldung nachhaltig in eine positive Richtung lenken können. Nein. Was sollte diesen Mann also auszeichnen. Zu Zeiten als Innenminister forderte er den bewaffneten Bundeswehreinsatz im Innern, die Möglichkeit des Abschusses von Passagierflugzeugen, die totale Telefon- und Wohnraumüberwachung, zahlreiche Grundgesetzänderungen und ähnliches mehr. Zu dieser Zeit wurde er in einem von Claus Kleber geführten ZDF-Interview sinngemäß mit der Frage konfrontiert, ob seine Hartleibigkeit auf sein persönliches Schicksal zurückzuführen sei. Er verneinte dies damals erwartungsgemäß.

Kann Schäuble zur Elite Deutschlands gehören, wenn Googles Auto-Vervollständigung zu »schäuble bundest« die Begriffe schäuble bundestag aber gleich danach auch schäuble bundestrojaner vorschlägt? Die Suche nach »schäuble sch« liefert schäuble schlechte zähne und schäuble schwarzgeld. Das sind wohlgemerkt die häufigsten Suchbegriffe der Google-Nutzer in der Vergangenheit.

Man kann sich der Frage nach den Eliten in Deutschland auch anders nähern. Zum Beispiel mit der Fragestellung wer die zehn besten Wirtschaftswissenschaftler, Mediziner, Ingenieure, Künstler oder Fußballer sind? Für jede dieser Kategorien ließe sich per Umfrage ein eindeutiges Ranking ermitteln. Da Politiker keine vergleichbaren oder direkt meßbaren Leistungen erbringen, würde der Versuch einer Ermittlung immer auf die Frage nach der Beliebtheit zurückfallen. Diese wiederum ist aber keine Leistungsgröße; bestenfalls bei Kindergärtnerinnen. Gleichgültig zu welchen ersten zehn von 80 Millionen sich Herr Schäuble hinzurechnet. Es bleibt das ungute Gefühl, daß dieser Minister in seinem durchaus wichtigen Amt völlig abgehoben ist. Außer den regelmäßigen Parlamentswahlen hat unsere Demokratie aber leider kein wirksames Mittel zur Erdung solcher Funktionsträger.
rh2012-09-002